„EXPAND your Piercing“ – dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit Thorsten Sekira geschrieben – seine wichtigsten Eckpunkte bildeten das Grundgerüst des Artikels, welchen ich dann mit Recherchen und Fakten entsprechend angereichert und ausformuliert habe! Der Artikel erschien im EXPAND #3 – Ende 2005!
expand your piercing
Ein Piercing zu dehnen ist eine Prozedur, die nahezu in jeder alten und neueren „Piercing Kultur“ bekannt ist. In den meisten traditionellen Kulturen ist ein gedehntes Piercing mit einer persönlichen, spirituellen oder sozialen Bedeutung belegt. Ein Piercing – egal an welcher Stelle des Körpers dehnt sich nicht signifkant von einem Tag auf den anderen. Es ist ein sichtbares Zeichen für eine abgeschlossene Prozedur über Wochen, Monate und Jahre in Disziplin und Selbstbeherrschung.
So tragen zum Beispiel Frauen auf Bali die meiste Zeit ihres Lebens ein eng zusammengerolltes Palmenblatt im Lobe-Piercing (Ohrläppchen) um das Piercingloch offen zu halten und es gleichzeitig konstant und sanft zu dehnen. Dort steht also die Schaffung des gedehnten Ohrlochs im Vordergrund und nicht so sehr das Tragen von Schmuck. Unter den Bewohnern Balis gilt ein symmetrisch weit gedehntes Ohrloch als besonderes Zeichen von Reife und Schönheit, denn eine solche Dehnung braucht halt viel Zeit und Geduld – Eigenschaften, die ihre Trägerin auszeichnen.
Typisch für unsere Zeit und unser „Piercing-Verständnis“ ist die Trennung zwischen dem eigentlichen Piercing – dem Stechen und „Ersteinsatz“ – und dem späteren Dehnen (falls überhaupt vorgenommen).
Ritus des Dehnens
Allerdings kommt man auch in der heutigen Zeit nicht um den „Ritus des Dehnens“ und die damit verbundene Körpererfahrung herum. Egal ob es nur ein kleiner Schritt zur nächsten Schmuckgröße oder ein längeres Projekt zu einem verändertem Piercing ist. Das Dehnen der Haut erfordert Sauberkeit, Wissen um die Belastbarkeit und Zeit der Erholung die der zu dehnende Teil des Körpers braucht und – das aller Wichtigste – es braucht Geduld!
Wäre es ein Leichtes und Sache von Minuten ein Piercingloch von 1.6 auf 16, 20 oder 30mm zu weiten; gedehnte Piercings und der getragene Schmuck würden Ihren besonderen Reiz des Erreichens verlieren.
Es wäre nichts Aussergewöhnliches z.B. einen Plug zu tragen. Doch es passiert nun einmal nicht über Nacht und so bleibt etwas, was man nicht nur mit viel Einsatz erreicht, sondern etwas das viel Einsatz über eine lange Zeit fordert. Das macht weit gedehnte Piercings weltweit und über Kulturen hinweg zu einem Zeichen der Reife und Weisheit, ein Weg zu sagen „ich kontrolliere meinen Körper und akzeptiere was mein Körper von mir verlangt um heil an mein Ziel zu gelangen“. Im Gegensatz zum Stechen eines Piercings und Tattoos oder dem Schneiden und Brennen einer Scarifcation ist das Dehnen ein Wechselspiel zwischen der Aktion der Modifkation und der Reaktion des Körpers die dann erst eine weitere Aktion erlaubt.
Dieser „Dialog“ mit dem eigenen Körper ist der wichtigste Faktor des Dehnens. Schmerzen sind grundsätzlich ein subjektives Empfnden und je nach Person und Piercing unterschiedlich. Ist z.B. das Lobe noch „easy going“ wird es mit längerem Stichkanal und empfndlicherer Körperregion wie z.B. dem Ampallang schon interessanter. Jeder Mensch empfndet bei jeder Modifkation seines Körpers seinen eigenen und persönlichen „Schmerzlevel“ steigt der sprunghaft an, so ist das der besagte Dialog mit dem eigenen Körper mit dem dieser uns versucht zu sagen „Okay, Stopp! Es reicht, bis hier her und nicht weiter“.
In der Regel läuft das Dehnen für den „geduldigen Dehn-Typ“ relativ schmerzfrei ab. Der geduldige Typ geht mit dem Grundsatz „sicher und langsam“ an die Sache heran und sorgt sich nicht um die Zeit, die es braucht ans Ziel zu kommen. Für ihn zählt es alleine mit optimalem Ergebnis seinen Körper zu modifzieren und keinen Gefahren wie z.B. einer Infektion auszusetzen. Klingt langweilig und fast schon konservativ, ist aber vernünftig und eigentlich immer von Erfolg gekrönt.
Wunder über Nacht
Im Gegensatz dazu geht der „ungeduldige Dehn-Typ“ vor, denn es gibt natürlich auch Wege sein Piercing schnell zu weiten, um dann dicken Schmuck, Plugs oder Tunnels zu tragen.
Durch das Punchen (Herausstanzen von Gewebe) zum Beispiel oder dem einfachen Einschneiden des Gewebes mit einem Skalpell lässt sich schnell ein „großes Piercing“ realisieren.
Dieser Weg zum dicken Schmuck ist sicher noch gangbar und führt – wenn vernünftig gemacht – auch ans Ziel. Allerdings lässt sich diese Technik nicht beliebig auf alle Bereich anwenden (z.B. Intimbereich, Brustwarze, Zunge usw.) und bietet darüber hinaus nicht immer ein so schönes optisches Ergebnis wie der lange Weg des „geduldigen Dehn-Typs“. Ergänzend sei gesagt, dass bei diesen Methoden meist ein ausgeprägteres Narbengewebe entsteht, was ein weiteres Dehnen über den erreichten Status-Quo hinaus erheblich erschwert.
Für den ungeduldigen Typ kann es aber auch sinnvoll sein – für ein späteres „geduldiges Dehnen“ – einige Piercings gleich in einer größeren Stärke zu piercen. Zum Beispiel kann der Ersteinsatz im Lobe direkt bis zu 4mm dick sein. Man sollte allerdings darauf achten während der Heilung (das gilt auch später zwischen den Dehnschritten) keinen zu schweren Schmuck zu tragen um eine zu einseitige Belastung zu vermeiden.
Damit wären beide Dehn-Typen schon fast erklärt, gäbe es da nicht noch eine Splittergruppe des „ungeduldigen Dehn-Typs“ – den „unvernünftigen Dehn-Typ“. Von seinen „Gewaltmethoden“ ist dringend abzuraten. So werden in recht blutigen Sitzungen so lange konische Materialien durch ein frisch gepierctes Loch „geprügelt“, bis man „in einem Rutsch“ von 0 auf 10mm gekommen ist. Das Trauma dem das Gewebe da ausgesetzt wird, mit seiner Vielzahl der unterschiedlichsten Verletzungen und Quetschungen, kann zu den abenteuerlichsten Entzündungen und Abwehrreaktionen des Körpers führen. Im schlimmsten Fall kommt es durch eine akute Unterversorgung zu dauerhaften Schädigungen der Haut oder des Knorpelgewebes.
Was passiert genau?
Werfen wir einen Blick auf die medizinisch, anatomische Seite des Dehnens. Was genau passiert beim Dehnen eines Piercinglochs? Nun, ja das ist so genau nicht einfach zu erklären, im groben passiert folgendes – durch das Dehnen / Spannen der Haut rund um das Piercing und im Piercing-Kanal entstehen gleichmäßig verteilte mikroskopisch kleine Risse im Kollagengefecht der Haut.
Dadurch entstehen Freiräume zwischen den Hautzellen, die mit der Zeit durch neue Zellen ausgefüllt werden.
Die Haut weitet sich und baut mehr und mehr die entstandene Spannung ab. Das Kollagen bindet die neuen Hautzellen ein und das geweitete Piercing ist erneut „geheilt“. Dieser Vorgang dauert – optimale Rahmenbedingungen vorausgesetzt – mindestens 6 Wochen.
Optimale Voraussetzungen sind in diesem Fall ausreichend Luft am Piercing (ein frisch gedehntes Piercing sollte nicht durch Schmuck „eingeschlossen“ werden), gesunde Ernährung und Hygiene – jede Verschmutzung des gereizten Piercings kann zu Problemen und Endzündungen führen.
Wird der Dehnvorgang (auch in vernünftigen Schritten) zu schnell durchgeführt, kann es zu ungleichmäßig verteilten Rissen in der Kollagenschicht oder zu Rissen unterhalb der Kollagenschicht kommen. Das kann wieder herum zu hypertropher Narbenbildung führen – was die weitere Dehnbarkeit dieser so verletzten Stelle stark beeinträchtigt. Sogar gegenteilige Entwicklungen sind möglich. Wirken zu starke Zugkräfte in der Phase des Verheilens, so werden vermehrt Bindegewebe und Blutgefäße gebildet. Es kommt zu einer überschießenden Narbenbildung, der Narbenhypertrophie. Diese Narben sind oft sehr groß und wulstartig und können somit das Piercing optisch erkennbar verziehen – das Piercing wirkt schief und ungleichmäßig.
Die Voraussetzungen
Sicher die wichtigste Voraussetzung zum Dehnen, ist ein vollständig ausgeheiltes Piercing. Das Dehnen sollte wie links beschrieben in 1 bis 2mm Schritten erfolgen, gefolgt von einer mehrwöchigen Pause; diese ist notwendig damit das Gewebe sich erholen und regenerieren kann. Diese Ruhephase ist damit die wichtigste Voraussetzung für den nächsten Dehnschritt.
Leider liegt in der Mißachtung dieser Voraussetzungen die größte „Gefahr“ des Dehnens. Gehen anfänglich die Schritte zu leicht von der Hand, wird man euphorisch oder übermütig und verlangt dem Körper zuviel ab. Disziplin und Geduld sind also ebenso Voraussetzung für ein langes und erfolgreiches Dehnen. Denn auch wenn man das Gefühl hat, es könnte noch ein wenig mehr „gehen“, ist es besser zu stoppen und die planmäßige Pause einzuhalten. Ein zu schnelles Dehnen kann zu den beschriebenen Vernarbungen und Verletzungen führen und einen um Monate zurück, oder gar ganz „aus dem Rennen“ werfen.
Jeder einzelne Dehnschritt für sich genommen sollte also nie zu groß ausfallen – je nach Gewebe (gepiercter Stelle) sind Dehnschritte von 1 bis maximal 2mm sinnvoll und gängig – in der Regel wird zur nächsten Schmuckstärke gedehnt. Die bereits erwähnten 6 Wochen Pause zwischen den Schritten sind dabei nicht übertrieben! Man muß dem Körper immer ausreichend Zeit gewähren sich zu regenerieren und den nächsten Schritt möglich zu machen.
Setzt man diese Grundregeln um, sind einem stetig wachsenden Piercing dann fast keine Grenzen mehr gesetzt.
Der sicherste Weg zum Dehnen ist im übrigen immer noch der Weg ins Piercingstudio, dort bekommt man die notwendige Hygiene geboten und meist ist das Dehnen ein kostenloser Service wenn der danach ohnehin benötigte Schmuck der nächsten Stärke direkt vor Ort gekauft wird.
Die Vorbereitung
Das Dehnen an sich lässt sich mit der richtigen Vorbereitung recht unkompliziert gestalten. Das Einweichen der Haut mit heißem Wickel oder Bad ist eine gute Vorbereitung. Das erhöht die Dehnbarkeit und fördert die Durchblutung, die Haut entspannt sich.
Für Intim oder Brustwarzen-Piercing empfehlt sich ein Bad zu nehmen, Piercings im Gesicht können mit einem getränkten Handtuch eingeweicht und dabei auch massiert werden. Mindestens 2 bis 4 Minuten sollte man sich dafür Zeit nehmen – je länger, desto besser!
Anschließend oder schon während des Einweichens und sanften Massierens, sollte man sein Piercing kontrollieren. Gibt es evtl. noch kleine Risse oder Verletzungen, dünne oder gespannte Stellen? Ist die Haut gerötet oder spürt man beim Berühren einen Druckschmerz? Wenn all das nicht der Fall ist, kann man mit dem eigentlichen Dehnen beginnen – ansonsten tut man gut daran hier abzubrechen und seinem Körper noch ein wenig Zeit zu geben.
Das Dehnen
Um seine Dehnhilfe besser durch den Piercingkanal zu bekommen, sollte man Gleitgel verwendet.
Dieses sollte jedoch vorher auf Verträglichkeit geprüft werden und möglichst auf Wasserbasis sein und steril in kleinen „Portions-Einwegverpackungen“ abgepackt sein. Denn Hygiene ist beim Dehnen sehr wichtig.
Das gedehnte Piercing sollte wie ein frisch gestochenes Piercing behandelt werden. Auch während des Dehnens ist darauf zu achten möglichst jeden unnötigen Kontakt der Hände mit dem Stichkanal zu vermeiden.
Geht man zum Dehnen ins Studio, wird der Piercer ohnehin Handschuhe tragen und die Dehnhilfe ist steril.
Das Gleitmittel sollte vor dem Dehnen schon auf und in den Stichkanal aufgetragen werden, dann wird die Dehnhilfe unter behutsamen, leichten Druck mit regelmäßigen Pausen eingeführt. Wird ein Taper verwendet, so ist es hilfreich diesen langsam mit Gegendruck zu drehen. Es gilt dabei immer darauf zu achten, dass genug Gleitmittel vorhanden ist um ein unangenehmes Anhaften zu vermeiden. Geht es nicht mehr weiter, kann es hilfreich sein die Seite zu wechseln und die Dehnhilfe am anderen Ende des Stichkanals einzuführen. Je länger der Stichkanal ist, desto sinnvoller ist diese Methode um ein gleichmäßiges Dehnen und bessere Beweglichkeit der Dehnhilfe zu gewährleisten. Man arbeitet sich so von außen nach innen vor.
Nicht ungeduldig werden, das einzige Limit ist in der Regel das Austrocknen des Gleitmittels; es kann passieren das dieses beginnt zu kleben, in der Regel hält es aber lange genug um den Dehnvorgang abzuschließen.
Ist es geschafft, Führt man mit dem Ende der Dehnhilfe den neuen Schmuck in den Kanal ein. Leider bietet nicht jede Dehnhilfe oder Schmuck diese Möglichkeit des nahtlosen Einführens. Es sollte auf jeden Fall darauf geachtet werden kein scharfes Gewinde durch den frisch gedehnten und sicher noch gereizten Kanal zu führen. Absolut top sind hier Schmuckstücke mit Innengewinde (internally threaded).
Das Reinigen
Eventuelle Rückstände des Gleitmittels rund um das Piercing sind mit einem sauberem Tuch schnell beseitigt, ggf. vorsichtig die umliegenden Bereiche waschen. Die Reinigung des gedehnten Piercings sollte allerdings mit einem wässrigen Antiseptikum wie z.B. Octenisept vorgenommen werden. Das kühlt die gereizte Stelle ein wenig ab und desinfziert diese gleichzeitig.
Welcher Schmuck
Welcher Schmuck ist für das Tragen direkt nach dem Dehnen geeignet?
Grundsätzlich gilt das gleich wie für den Ersteinsatz beim Piercing. Der Schmuck sollte also mit Bedacht gewählt werden. Plugs und Tunnels verschließen oft den Stichkanal – allerdings braucht die gereizte Haut jetzt Luft um zu heilen. Solide Ringe sind ebenfalls nicht immer optimal, da sie durch ihr Gewicht evtl. vorhandene Verletzungen oder Reizungen im Stichkanal weiter fördern bis Risse entstehen. Das Gewicht lastet naturgemäß nicht gleichmäßig verteilt auf den Stichkanal sondern konzentriert sich auf eine Stelle. Von schwerem Schmuck ist also abzuraten. Abhilfe schaffen hier hohle oder – leichter als Stahl – Titanringe. Sehr gut geeignet sind ebenfalls Eyelets oder Tunnel mit niedrigem Rand und auf jeden Fall ohne O-Ringe (Haltegummies) – z.B. „Double Flared Eyelets“ (DFE).
Bezüglich des Materials ist zu sagen, dass man seine Erfahrungswerte aus dem Ersteinsatz seiner Piercings einfießen lassen sollte, hat man gute Erfahrungen mit Titan oder auch Chirurgenstahl gemacht, empfehlt es sich dabei zu bleiben. Kunststoffe sind eher weniger geeignet. Praktisch sind z.B. auch kleine Crescents (SRE, ERE), diese sind in der Regel nicht zu schwer und können direkt nach dem Dehnen als „Ersteinsatz“ getragen werden.
Teilweise gut geeignet sind ebenfalls organische Materialien (z.B. Holz) allerdings nicht alle Arten und nicht jede Verarbeitung. Besitzt man keine Erfahrung im Umgang mit organischem Material als Piercing-Schmuck, möchte aber trotzdem etwas mehr natürliches als Stahl oder Kunststoff tragen, sollte man sich mit diesem Wunsch vertrauensvoll an seinen Piercer wenden. Mit der Richtigen Pfege und Behandlung lassen sich sehr gute Ergebnisse erzielen und man kann die natürlichen Wirkstoffe der organischen Materialien für sich arbeiten lassen.
Regenerierung
Ist das gedehnte Piercing ein paar Tage alt und macht keine Probleme, kannst Du damit beginnen, die Haut bei der Regenerierung zu unterstützen. Es gibt die verschiedensten Tips und Tricks für die jeweils vermeindlich beste Pfege, tatsächlich aber eine allgemeingültige Empfehlung abzugeben, ist schwer. Mancher mischt sich sein „geheimes Öl“ für die Pfege zusammen, andere schwören auf Kokosnuss-, Jojoba- oder Raps-Öl. Um Narbenbildung zu mindern, kommen ebenfalls die unterschiedlichsten Mixturen zum Einsatz. Egal ob Teebaumöl unverdünnt oder gelöst in heißem Wasser, verschiedene Salben und Tinkturen aus der Apotheke, jeder Tip beansprucht für sich die beste Wirkung. Daher haben wir lange darüber beraten was wir an dieser Stelle dem Leser als „heißen Tip“ mit auf den Weg geben und wir sind auf folgenden gemeinsamen Nenner gekommen:
ES GEHT AUCH OHNE!
Mit anständiger Pfege, leichten Massagen um die Durchblutung anzuregen und gesunder Ernährung, haben wir im Selbstversuch keine nachteiligen Wirkungen feststellen können.
In der Regel war nach 6 Wochen die neue Schmuckgröße entspannt tragbar und nach 8 bis 10 Wochen war dann die nächste Dehn-Session möglich. Um die Langeweile in der Wartezeit zu vertreiben, läßt sich super ein paralleles „Dehn-Projekt“ anfangen – aber Vorsicht! SUCHTGEFAHR!
Verletzungen
Scheiße passiert, daher kurz zum „Worst-Case“:
Was tun wenn der Stichkanal verletzt ist, es blutet oder schmerzt?
In dem Moment, in dem der Stichkanal verletzt ist, sollte man das Dehnen „vergessen“ und sich primär um die Wundversorgung kümmern.
Sofort wieder zur „gewohnten“ kleineren Schmuckgröße wechseln, die Wunde reinigen / desinfzieren mit einem Antiseptikum. Halten die Schmerzen ungewöhnlich lange an oder blutet es stark, unverzüglich einen Arzt aufsuchen! Ansonsten gilt es das verletzte Piercing wie ein frisch gestochenes zu behandeln – Du solltest entsprechende Erfahrungen mit der Pfege des Piercing ja bereits gesammelt haben.
Diesen Artikel habe ich zusammen mit Magda (Wildcat Store MG) geschrieben:
Wir wollen in dieser Ausgabe des “expanded Piercing-ABCs” einmal das Unmögliche versuchen und alle gängigen Piercingarten des Ohrs in einem Artikel behandeln. Obwohl oder gerade weil das Ohr ein so kleiner Teil unseres Körpers ist, weist es die vermutlich höchste “Piercingdichte” auf. Das Ohr selbst bietet aber auch durch seine unterschiedlichen Gewebearten und variantenreichen Formen einen idealen Platz für kreative Piercing- und Schmuckideen. Das Ohrpiercing Nummer Eins ist wohl das Lobe (Ohrläppchen). In den 80ern galt es noch als “Punk” und Rebellion, obwohl es in den 50ern bereits der erste echte „Piercingtrend“ unserer Zeit gewesen war. Dieser erste Trend – und an der Stelle sollte man sich hinsetzen und dann weiter lesen – wurde ausgelöst durch Queen Mum, Königin Elisabeth II., die zu ihrer Krönung die volle Ausstattung der Kronjuwelen tragen wollte und sich dafür die Ohrläppchen durchstechen ließ. Sowohl das Königspaar als auch die Hochzeit waren damals große Ereignisse und der Ohrschmuck in aller Munde (Bilder Seite 13 links) – auf der ganzen Welt fanden sich Frauen zu „Piercingpartys“ zusammen (Bild ganz rechts) um auch den letzten Schrei in Sachen Mode – den Ohrring – mitzumachen.
Es finden sich zahlreiche Belege für den Ohrschmuck – besonders dem Lobepiercing (Ohrläppchen). So findet man quer durch die Jahrhunderte geschmückte Ohren an Portraits meist adliger, aber auch bürgerlicher Frauen – eher selten auch an Männern: in Europa meist im 17. und 18. Jahrhundert, danach war es eher unüblich, bzw. selten oder „exotisch“.
So waren es oft Darstellungen von Seefahrern oder Zeichnungen von Naturvölkern aus Afrika, Asien und Amerika, die Männer mit Ohrringen zeigten. Seefahrer, so wird überliefert, trugen goldene Ohrringe, die im Wert etwa dem eines christlichen Begräbnisses entsprachen.
Sie sollten, falls der Seemann nach einem Unglück tot an Land getrieben und von Christen gefunden würde, sein Begräbnis fnanzieren. Eine solche „Funktion“ des Ohrschmucks war nicht neu, im Mittelalter war es zum Beispiel bei einigen Zünften üblich, die Zugehörigkeit durch einen Ohrring auszudrücken. Auch der war meist aus Gold und diente dem Bestatter als Entlohnung im Todesfall.
Es diente aber auch als Erkennungsmerkmal, so wurde er z.B. bei Verstößen gegen die Zunftordnung (also Unzünftigkeit) ausgerissen, was wohl den Begriff „Schlitzohr“ für ein Schandmal prägte.
Wann genau und von welcher Kultur das erste Mal ein Ohrloch gestochen wurde, ist nicht auszumachen, allerdings weiß man, dass schon die frühesten Kulturen wie die Sumerische oder die Babylonier ihr Ohrläppchen schmückten. Interessant ist auch, dass auf jedem Kontinent unabhängig von der Kultur Zeugnisse von Ohrpiercings zu fnden sind, der Ohrschmuck sich also unabhängig voneinander entwickelte oder seinen Ursprung weit vor jeder Geschichtsschreibung hat und einfach „schon immer“ da war.
In traditionellen Kulturen wurden Piercings im Ohr oft in religiöse Zeremonien wie z.B. Geburt, Pubertät oder die Heirat eingebunden. In einigen Bereichen des Hinduismus wird dem Neugeborenen zwölf Tage nach der Geburt bei der Zeremonie der Namensgebung ein kleiner Stecker oder Ring in die Ohrläppchen und Nase eingesetzt. Bei männlichen Babys wurde “weiblicher” Schmuck eingesetzt um die „bösen Geister” zu irritieren und von dem Kind fernzuhalten.
Die bisher ältesten Ohrringe wurden in der Stadt Chifeng in der Inneren Mongolei ausgegraben und auf ein Alter von 7.500 bis 8.200 Jahre datiert. Die Ohrringe, von denen mehrere Paare gefunden wurden, sind aus Jade und 2,5 bis 6 cm groß.
In der Literatur stößt man immer wieder auf den „Ohrring“ – schon in der Bibel ist die Rede davon. Allerdings gibt es die unterschiedlichsten Interpretationen und Übersetzungen, so ist von Ohr- und Kopfspangen die Rede, mal auch von Ohrringen. In evangelischen Gebieten Deutschlands galt der Ohrring lange als „katholisch“ verpönt, andere Christen lehnen ihn ganz ab, da man wie auch beim Tattoo dem Körper Schaden zufügt – wieder andere schmücken sich aus religiösen Gründen mit Tattoos und Ohrringen. Lassen wir also die Bibel mal außen vor!
Ein sehr interessantes Buch ist das Lese- und Lehrbuch „Bilderfbel zur Beförderung der Laut-Methode“ von Johann Ferdinand Schlez aus dem Jahre 1809/1810, das in einem Kupferstich (Bild oben) den Piercingvorgang an sich zeigt, wie er zu der Zeit wohl üblich war. Der Kupferstich ist von Johann Conrad Susemihl.
In der Beschreibung zu dem Bild heißt es: „Ein eitles Mädchen läßt sich Ohrenlöchelchen stechen. Die alte Frau da, mit der Brille sagt ihr zwar: Wozu sollen die Löcher in den Ohren? Hättest du sie mit zur Welt gebracht: so würd‘ es Jedermann für einen Fehler gehalten haben. Die frisch gestochenen Löchelchen werden dir weh thun [Anm.d.Red.: thun = tun – alte Schreibweise] bis sie ausgeheilt sind und die Ringelchen darin können sogar gefährlich werden. Wenn du kleine Kinder wartest [Anm.d.Red.: warten = hüten oder auch babysitten] und es greift eines hinein; so schlitzt es dir die Ohren aus. Überdies merke! Wer keine Ohrenlöchelchen hat, braucht auch keine Ohrenringe und erspart sein Geld…
Das hilft aber nichts! Das Mädchen, sonst bei jedem Nadelstich empfndlich, will aus Eitelkeit den zehnmal größern Schmerz gern dulden. – Je nun, sagt die alte Frau, wenn du willst, so bin ich bereit; aber kreische mir nicht, wenn ich steche; denn es thut weh! – Nein, das will ich auch nicht! sagt das Mädchen.
Frisch legt es das Ohr auf das untergehaltene Stückchen Rübe. Die Frau hat den Pfriemen in der Hand und sticht.
[Anm.d.Red.: Ein Pfriem ist ein langes, konisches, rundes Stück Eisen, oft am Klappmesser befestigt; auch bekannt als: Ahle oder Marlspieker] Das Kind hält Wort. Es kreischt nicht; aber es quickt doch beim Stiche i! i!
– Wie sieht der Buchstab aus, der i lautet? Sucht ihn auch im Buche auf!
– Lernt an dem Mädchen, wie man den Schmerz überwinden kann.“
Man sieht, schon damals wurde dem Piercingwilligen ins Gewissen geredet und erst nach einer Aufklärung über die Risiken eine klare Einverständniserklärung abverlangt – grob gesagt, hat sich in den letzten 200 Jahren nicht viel getan – außer natürlich im medizinischen Bereich des sterilen Arbeitens und der Nachsorge sowie eine Optimierung der Arbeitswerkzeuge und des eingesetzten Schmucks.
Es sind aber nicht nur Lobepiercings historisch belegt. Man fndet in verschiedenen frühen Kulturen durchaus auch andere Piercings, darunter auch einige Ohrknorpelpiercings. So fndet sich das Helixpiercing (äußerer Knorpelrand) schon sehr früh auf beinahe jedem Kontinent. Die Dayak aus Borneo trugen damals wie heute Eckzähne von Bären im oberen Bereich des Ohres. Die Mütter von Kriegern der Lmasala (ein Klan der Samburu – Kenia) tragen die Beschneidungs-Ohrringe ihrer Söhne im Helix während diese auf der Jagd sind oder in den Kampf ziehen. Auch andere Knorpelpiercings wie z.B. das Conch (Ohrmuschel) fndet man bei den Mangebetu im nördlichen Zaire (Demokratische Republik Kongo). Übrigens kann man „Conch“ mit einem weichen „ch“ am Ende (wie „Elch“) oder hart mit einem „k“ (also „konk“) aussprechen.
[Anm.d.Red.: die legendäre französisch anmutende Aussprache des Labretpiercings als „Labree“ ist defnitiv falsch. Es stammt aus dem Lateinischen und wird gesprochen wie man es schreibt – mit hartem „t“ (deutsch oft „tt“ – wie „Bett“) – Labret!] Aber nicht alle Ohrknorpelpiercings haben einen kulturellen Ursprung. Die meisten sind eine „Erfindung“ der Neuzeit.
Ein Pionier auf diesem Gebiet ist Erik Dakota, der als erster zahlreiche Piercings dokumentierte und ihnen teils auch die Namen gab (Bild unten).
Piercings wie das Daith, Ear-Orbital, Rookpiercing und Industrial Ohr-Projekte. Erstmalig wurden diese Piercings im November 1992 auf dem Lehrgang „Fakir School of Professional Body Piercing“ vorgestellt und dann im Body Play Vol.1, No. 4 einem (für die damaligen Verhältnisse) breiten Publikum vorgestellt. Ähnlich verhält es sich mit anderen „neuen Piercings“, die bis vor 10 Jahren meist zuerst im PFIQ (Piercing Fan International Quarterly, 1977-1998) Magazin erwähnt und mit einem Namen bedacht wurden. Heute hat diese Rolle größtenteils wohl BME (Webseite) oder die großen „Conferences“ (Lehrgänge wie z.B. APP Conference in Las Vegas) übernommen.
„Das Ohr“ ist [Anm.d.Red.: „Das Ohr“ hier in Anführungszeichen, da das Ohr umgangssprachlich oft nur das Außenohr (Auris externa) bezeichnet, tatsächlich aber das Mittel- und Innenohr einschließt], wie wir ja alle sicher schon beobachten konnten, bei jedem Menschen anders geformt. Ausschlaggebend, ob wir große, kleine, anliegende oder abstehende Ohren haben, ist die Form unseres Knorpelgewebes. Funktional ist das Außenohr, besonders die Ohrmuschel eine Art richtungsselektiver Hörflter.
Die zahlreichen Erhebungen und Vertiefungen der Ohrmuschel bilden jeweils akustische Resonatoren, die bei Schalleinfall aus einer bestimmten Richtung angeregt werden. Hierdurch entstehen richtungsabhängige Minima und Maxima im Frequenzspektrum durch deren Auswertung das Gehör unterscheiden kann, ob Schall von vorne, hinten, oben oder unten kommt. Dessen sollte man sich bewusst sein bevor man sich dort piercen lässt. Die Entnahme von Knorpelgewebe (Punch) und besonders der getragene Schmuck können das Hören beeinfussen – meist zum negativen, die Natur an sich ist ja schon relativ „perfekt“ und nur schwer zu verbessern; obwohl es dazu noch keine wissenschaftlichen Untersuchungen gibt.
Der untere „feischige“ Teil des Ohrs wird als Ohrläppchen (Lobe; lat. Lobulus auriculae) bezeichnet und hat ebenfalls eine akustische Funktion, nämlich die eines Resonanzkörpers.
Es kann frei hängend oder angewachsen sein. Die angewachsenen dürften seltener sein, da sie als genetisch rezessiv gelten – das genetisch dominante, freie Ohrläppchen setzt sich also in der Vererbung durch. Das Ohrläppchen ist in den meisten Fällen relativ schmerzunempfndlich. Im Gegensatz zum Ohrknorpelgewebe ist das Ohrläppchen gut durchblutet, was auch einer der Gründe für die vergleichsweise schnellere Abheilung der Piercings dort ist. Das gesamte Ohr kann also als Sinnesorgan gesehen werden. Neben dem Hörsinn dient es aber auch dem Tastsinn, nämlich als „erogene Zone“. Freilich ist das von Mensch zu Mensch unterschiedlich, eine besondere Empfndsamkeit des Ohrs lässt sich aber nicht von der Hand weisen und auch hier können Piercings zu veränderter Wahrnehmung führen!
Die Form der Ohrmuschel wird durch den Ohrknorpel (Cartilago auriculae) geprägt, der aus einem Stück besteht. Er besteht aus elastischem Knorpelgewebe, welches einen hohen Anteil an Kollagenen (miteinander verfochtenen Faserbündeln) hat, die ihn stabil und gleichzeitig durch gelbliche, elastische Fasern fexibel machen. Knorpelgewebe hat keine eigene Blutversorgung, da es beim erwachsenen Menschen frei von Gefäßen und Nerven ist. Daher muss die Ernährung der Zellen über eine Diffusion erfolgen. Dafür zuständig ist beim elastischen Knorpel die Knorpelhaut (Perichondrium): eine straffe Schicht aus spezialisiertem Bindegewebe, die wiederum durch die ihr angrenzenden Blutgefäße die Knorpelzellen versorgt.
Die sensible Innervation (Innervation = Versorgung von Organen oder Körperteilen mit Nervenfasern) erfolgt durch verschiedene Nerven vor und hinter dem Ohr.
Das Ohr an sich ist also sehr empfndlich, trotzdem verlaufen keine großen Nerven durch oder nahe am Ohr. Die Horrorstory, man könne z.B. durch ein Traguspiercing einen großen Nerv oder eine große Arterie verletzen, ist falsch. Man müsste den Tragus schon extrem unsachgemäß piercen um in die Tiefe und Lage der größeren Nerven oder Blutgefäße zu kommen. Das Gleiche gilt für den getragenen Schmuck, der müsste schon sehr unglücklich gewählt sein und schlecht sitzen, damit er Druck auf diese Gefäße ausüben kann. Anders sieht das beim Schlafen aus – man sollte es möglichst vermeiden länger auf „hartem“ Schmuck zu schlafen, der Druck auf den Bereich hinter oder vor dem Ohr ausübt.
Das Ohr ist eine der wenigen Körperstellen, die nahezu fettfrei ist; es besitzt allerdings Muskeln. Diese „Stellmuskeln“, die bei vielen Tieren die Ohrmuschel in der Richtung verstellen können, sind beim Menschen allerdings weitgehend zurückgebildet. Sie befnden sich an der Rückseite des Ohrs und am Rand. Diese können natürlich bei verschiedenen Piercings „getroffen“ werden, was die Abheilung verzögert, aber in der Regel unkritisch ist, da die „aktivierbaren Muskeln“, die die Ohrmuschel nach hinten und oben bewegen nicht an typischen Piercingstellen, sitzen.
Nichtsdestotrotz, kann durch das Piercen die muskuläre Beweglichkeit der Ohren eingeschränkt werden!
Die arterielle Blutversorgung des Ohres erfolgt aus Ästen der hinteren Ohrschlagader (Arteriae auricularis posterior) und der oberfächlichen Schläfenarterie (Arteria temporalis superfcialis), die untereinander eine Vielzahl von Queerverbindungen aufzeigen. (Diese Art der Queerverbindungen werden Anastomosen genannt – das sind Verbindungen zwischen zwei Blutgefäßen, die bei Ausfall eines Gefäßes für einen Umgehungskreislauf sorgen, sodass es nicht zur Nekrose des versorgten Gewebes kommt.) Verletzungen oder Unterbrechungen (z.B. durch Punches) der Blutgefäße werden am Ohr also größtenteils „verziehen“ und haben keine schwerwiegenden Folgen. Das gesamte Außenohr ist also über zahlreiche Gefäße mit Blut versorgt, somit gehen Ohrpiercings in den seltensten Fällen unblutig aus.
Bei der Abheilung unterscheidet sich das Lobepiercing (Ohrläppchen) stark von allen Knorpelpiercings. Die gute Durchblutung des Ohres lässt die Bereiche ohne Knorpel schnell und meist problemlos verheilen.
In den Bereichen, wo ein Knorpel durchstochen wurde, ist genau das Gegenteil der Fall. Diese Piercings brauchen ungleich länger und machen öfter Probleme. Die Abheilzeit von Knorpelpiercings hängt von verschiedenen Variablen ab. Eine der wichtigsten ist die individuelle Wundheilung, dazu kommt die Art und Struktur des Gewebes, also die Knorpeldichte. So gibt es Menschen, die einen sehr weichen Knorpel haben, was die Abheilung sehr begünstigt.
Andere wiederum haben eine hohe Knorpeldichte, was sich negativ bzw. verlangsamend auf die Abheilung auswirken kann, da der vom Knorpel ausgeübte Druck die Abheilung verringert. Aus diesem Grund ist die Angabe der Heilphase mit drei bis sechs Monaten sehr „schwammig“, weil man es nicht so zuverlässig vorhersagen kann wie bei anderen Piercings.
Auch das Schlafverhalten hat einen großen Einfuss auf die Abheilung. So lässt sich beobachten, dass Personen die das Piercing an dem Ohr haben auf dem sie meistens schlafen, länger für die Heilung benötigen als Leute die ihre “Nichtschlafseite” wählen oder darauf acht geben das Piercing über die Nacht nicht zu belasten. Die auftretenden Probleme sind dabei vor allem eine langsamer abklingende Schwellung und eine länger anhaltende Rötung der betroffenen Stelle. Ebenfalls häufger als bei anderen Piercings treten am Ohrknorpel Wildfeischwucherungen auf, da das Gewebe sehr empfndlich auf Hängenbleiben oder mechanische Belastung reagiert. Dies führt zu kleinen Rissen oder Verletzungen am Stichkanal in Folge derer der Körper angeregt wird Narbengewebe zu bilden. Diese Belastung des Stichkanals wird nach Abschwellen des frischen Piercings durch den überstehenden, längeren Schmuck des Ersteinsatzes begünstigt. Es ist also empfehlenswert den langen Ersteinsatzschmuck direkt nach dem Abklingen der Schwellung durch seinen Piercer anpassen zu lassen.
Eine andere Risikoquelle sind „Fremdkörper“. Man sollte darauf achten, dass das frische Piercing nicht mit den Haaren, dem Telefon oder Kopfhörern in Kontakt kommt. Darüber hinaus ist Hygiene wichtig: bevor man das Piercing anfasst, sollte man sich immer die Hände waschen – ein „Kontrollgriff“, ob noch alles sitzt, ist kontraproduktiv. Zur Kontrolle ist es besser auf den nächsten Spiegel zu warten und nur einen Blick zu „riskieren“. Was für einen selbst gilt, gilt natürlich für andere Personen um so mehr – das Ohr liegt ja recht offen und exponiert, das kann andere Leute oder Kinder schnell dazu verführen diesen für sie „seltsam platzierten“ Schmuck anzufassen und mit den Händen zu „bestaunen“ – da hilft dann nur Vorsicht und Voraussicht – Kinder nicht auf den Arm nehmen und Erwachsene vorab informieren: „bitte nur gucken, nicht anfassen“!
Grundsätzlich empfehlt sich als Ersteinsatz ein möglichst gerades Schmuckstück (Barbell oder Labretstecker bzw. Micro-Banane, wenn es die Anatomie so vorgibt), da ein Ring die Abheilung zweifach ungünstig beeinfusst – einmal durch die größere Belastung wegen des gebogenen Schmucks im meist geraden Stichkanal und dann natürlich durch die Gefahr des Hängenbleibens und die Bewegung durch das Baumeln, Wackeln oder Mitschwingen des Rings.
Da es verschiedene Möglichkeiten und Methoden gibt zu seinem Ohrpiercing zu kommen, stellt sich die Frage nach der optimalen Lösung.
Grundsätzlich gibt es nie einen einzigen, richtigen Weg, aber es gibt schon Vor- und Nachteile der einzelnen Methoden und die wollen wir hier einmal beschreiben:
In den sechziger Jahren wurde die Ohrlochpistole erfunden, die machte das Schießen von Ohrlöchern leichter und sorgte damals für eine weite Verbreitung dieses Schmucks. Dabei wurde eine Vorrichtung mit einem Ohrstecker „geladen“ und mittels einer gespannten Feder durch das Ohrläppchen getrieben. Das Prinzip wurde von Markierungsgeräten der Viehzucht übernommen.
Was früher Gang und Gebe war, nämlich sich sein „Ohrloch“ beim Juwelier schießen zu lassen, ist heute verpönt, da die ausführenden Betriebe keine nötige Fachkenntnis in Sachen Piercings besitzen und so mit Komplikationen oft überfordert sind. Darüber hinaus verlockt die „einfache Handhabung“ immer wieder dazu, das Gerät auch für Knorpelpiercings einzusetzen.
Zudem wird, verglichen mit einer Piercingnadel, mit einem recht stumpfen Gegenstand (Schmuck; Ohrstecker) ein Loch in das Gewebe geschossen, was unsaubere „ausgefranste” Wundränder zur Folge hat und beim Einsatz am Ohrknorpel zu Knorpelschäden und Hämatomen führen kann. Bleibt ein Othämatom (Schwellung der Ohrmuschel) unbehandelt, so entwickelt sich eine dauerhafte Entstellung des Ohres, was der Fachmann als „Ringerohr“ (auch „Boxerohr“ oder „Blumenkohlohr“) bezeichnet.
Ein weiterer und vielleicht wichtigerer Grund, der gegen das Schießen von Ohrlöchern spricht, ist die Tatsache, dass die dafür verwendeten Geräte hygienisch in der Regel nicht vertretbar sind, da diese nicht vollständig sterilisiert werden können. Auch wenn die Pistolen die Haut nicht direkt berühren, ist durch die Keimaufwirbelung beim „Aufschlag“ des Schießens eine Kreuzkontamination mit verschiedenen Krankheiten nicht auszuschließen. Es gibt inzwischen Weiterentwicklungen der Ohrlochpistole mit Einwegeinsätzen und „Handbetrieb“ ohne Feder. Wenn solche Geräte korrekt benutzt und aufbereitet werden, sind sie unbedenklich, allerdings bietet kaum ein Juwelier oder Schmuckgeschäft die entsprechenden Rahmenbedingungen für ein fachgerecht ausgeführtes Piercing. Ein weiterer Nachteil ist, dass der „geschossene“ Schmuck meist keinen optimalen Ersteinsatz darstellt.
Das Stechen mit der Braunüle (Venenverweilkanüle; Hohlnadel mit Plastik- oder Tefonüberzug) oder der Needle Blade (Piercing-„Nadelklinge“, die mit dem Schmuck durchgeschoben wird) sind mittlerweile die gängigsten Methoden um ein Ohrpiercing zu bekommen. Aufgrund des scharfen Schliffs entsteht ein sehr sauberer Wundrand, was die Abheilung im Vergleich zum Schießen stark begünstigt. Diese Methode ist entgegen der weit verbreiteten Meinung weniger schmerzhaft als das Schießen und geht, was den Stich betrifft, genauso schnell.
Durch den Facettenschliff der verwendeten Nadeln wird das durchstochene Gewebe geschnitten und zum größten Teil verdrängt, das umliegende Gewebe drückt also auf den Stichkanal, was im Falle eines durchstochenen Knorpels unangenehm ist und die Heilung verzögert. Der angrenzende Knorpel verdichtet sich und im Stichkanal bildet sich Narbengewebe.
Vom hygienischen Standpunkt ist das Stechen zu empfehlen. Nadeln sind Einwegprodukte und werden nicht wieder verwendet. Zum einen eben, weil die Aufbereitung teurer ist als eine Neuanschaffung, zum anderen verliert eine Nadel durch ihren sehr feinen Schliff schon nach dem ersten Gebrauch an Schärfe und kann sich geringfügig verformen. Ein mehrfacher Gebrauch selbst am gleichen Körper ist nicht ratsam!
Die Bezeichnung „Punchen“ kommt vom englischen „Dermal Punch“ (Hautstanze). Das beschreibt eigentlich auch schon die Methode – es wird mittels einer Hohlnadel Gewebe herausgestanzt. Die verwendeten Nadeln sind Einweg-Biopsienadeln, welche im Gegensatz zur Braunüle nicht spitz, sondern rund, fach und sehr, sehr scharf sind, was den Schmerzfaktor reduziert. Die Punches sind in der Regel bis 8 mm verfügbar.
Der Punch wird besonders bei Knorpelpiercings eingesetzt. Obwohl die Methode meist blutiger ist als die des Stechens, ist die Abheilung durch den geringeren Gewebedruck auf den Stichkanal angenehmer und braucht in der Regel nur ca. die Hälfte der Heilzeit. Empfehlenswert ist diese Methode auch bei Kunden, die sehr häufg Probleme mit Wildfeischwucherungen haben, da sich auch diese so minimieren lässt. Durch die auftretende Blutung bildet sich um das Ein- und Ausstichloch eine Blutkruste die in der Regel in den ersten drei bis fünf Tagen von alleine abfällt.
Solange diese Kruste vorhanden ist, sollte man auf anstrengenden Sport verzichten und nicht knibbeln um Nachblutungen zu verhindern. Ansonsten ist die Pfege wie bei einem normal gestochenen Piercing. Das Punchen ist entgegen vieler Befürchtungen oft weniger schmerzhaft als man denkt und der Abheilprozess ist angenehm und meist komplikationsfrei. Gerade bei anspruchsvolleren Knorpelpiercings wie z.B. dem Industrial, dichten Knorpeln wie der inneren Ohrmuschel oder größeren Schmuckgrößen ist die Punchtechnik eine gute Wahl.
In der Akupunktur spielt das Ohr eine wichtige Rolle. Basierend auf der Theorie, dass der gesamte Körper in der Ohrmuschel repräsentiert ist, sind auf der Ohrmuschel über 200 Akupunkturpunkte beschrieben von denen 50 häufg benutzt werden. Die Projektion des Körpers auf die Ohrmuschel entspricht dabei der Form eines Fötus, der sich mit dem Kopf nach unten in Embryonalstellung befndet. Das Ohrläppchen entspricht also dem Kopf, der Antihelix der Wirbelsäule und in der inneren Ohrmuschel sind die Organe abgebildet. Beine und Arme befnden sich dann zwischen Helix und Antihelix (siehe Bild unten).
Durchstöbert man das Netz nach Informationen zu Ohrpiercings und Akupunktur fndet man ein heilloses Durcheinander von sich widersprechenden Aussagen. Klar mischen da auch solche mit, die die Wirkung von Akupunktur generell in Frage stellen.
Ein sich abzeichnender Konsens der „ordentlichen“ Quellen sieht wohl so aus, dass durch Piercing Akupunkturpunkte verdrängt/verschoben werden und der Piercingschmuck und Stichreiz keine Auswirkung auf die korrespondierende Körperstelle hat. Durch Punchen werden Akupunkturpunkte entfernt und sind damit „verloren“.
Selbst nach dem Entfernen des Schmucks können die verbleibenden Narben „Störfelder“ für die Akupunktur darstellen und auch weitere, umliegende Akupunkturpunkte beeinfussen. Soweit die „seriösen“ bzw. ernst zu nehmenden Quellen bzgl. Akupunktur. Da einem Akupunkteur ein ungepierctes Ohr lieber ist, sind die Angaben mit Vorsicht zu genießen – tatsächliche Studien dazu gibt es unseres Wissens nicht!
Die medizinische Literatur zum Thema ist auch eher spärlich und da wir in Sachen Akupunktur keine Interpretation oder Erklärung vornehmen können und wollen, haben wir die wichtigsten Stellen einmal heraus gesucht und wollen diese hier unkommentiert zitieren:
Aus dem Lehrbuch von Markus Bäcker, Jürgen Bachmann, Michael Hammes: „Akupunktur in der Schmerztherapie“. Elsevier, Urban & Fischer:
„Ohrschmuck oder Verletzungen an der Ohrmuschel (Piercing) können über verletzte Ohrakupunkturpunkte Dauerreize, z.B. Kopfschmerzen, verursachen“.
Aus dem Lehrbuch von Manfred Angermaier: „Leitfaden Ohrakupunktur“. Elsevier, Urban & Fischer:
„Ohrringe/Piercing: können als Störfaktoren wirken; in jedem Fall sind zumindest die Ohrringe (Piercing in der Regel nur mit Zange lösbar) vor der Behandlung zu entfernen […] 5.9.3. Ohrringe […] Akute Wirkung:
Geht der Ohrring durch einen pathologischen, irritierenden Ohrpunkt, dann tritt kurzzeitig ein therapeutischer Effekt ein. Dieser Effekt wird jedoch durch das Durchstechen der Ohrvorder- und -rückseite abgeschwächt, da dadurch ein energetischer Kurzschluss auftritt.
Werden nicht pathologische Punkte gestochen erfolgt keine Reaktion.
Langzeitwirkung: Nach wenigen Wochen lässt die Wirkung durch einen Dauerreiz wie einen Ohrring nach (vgl. Dauernadel). Der Körper adaptiert nämlich an den Reiz, vergleichbar der Adaption an Gerüche, die innerhalb von Minuten stattfndet.
Durch das Stechen eines Ohrloches zum Anbringen eines Ohrrings entstehen in der Regel keine Krankheitssymptome. Wächst das Ohrloch nach Entfernung des Ohrrings nicht mehr zu, ist der Punkt für die Ohrakupunktur verloren.
Je mehr Ohrringe gesetzt wurden, desto eingeschränkter wird die Therapiemöglichkeit.
5.9.4 Piercing […] Der Piercingring verursacht aufgrund seines meist größeren Durchmessers einen Substanzdefekt, der – v.a. bei Positionierung im Ohrknorpel – zu systemischen körperlichen Beschwerden führen kann.
Im Gegensatz zu Ohrringen können Piercingringe körperliche Beschwerden hervorrufen, die in Zusammenhang mit den gestochenen Punkten stehen. Beispiel: Piercing im Bereich der Antihelix (Repräsentationsareal der Wirbelsäule) kann zu Rückenbeschwerden führen. Piercingringe an anderen Körperteilen können wie Störfelder wirken (wie auch Narben). Insbesondere Nabelringe können das Energiesystem schwächen (analog zur Laparoskopienarbe).“
Aus dem Lehrbuch von Gabriel Stux, Niklas Stiller, Brian Berman, Bruce Pomeranz: „Akupunktur Lehrbuch und Atlas“. Springer-Verlag:
„Das Ohrläppchen lässt sich durch 3 horizontale und 2 vertikale Linien in 9 Areale unterteilen, deren Körperrepräsentanz hier aufgeführt wird: […] – Region 5: Auge – Ohrpunkt 8; diese Region liegt in der Mitte des Ohrläppchens, und ist die Stelle, an der die Ohrringöffnung liegt. Auf Entzündungen oder Reizzustände sollte man an dieser Stelle achten.“
Im Folgenden möchten wir euch die gängigsten Piercings des Ohrs vorstellen und näher erläutern:
Das Antitraguspiercing wird in den kleinen Knorpelknubbel der direkt gegenüber dem Tragus und unmittelbar über dem Ohrläppchen liegt gestochen. Dieses Piercing ist nicht bei jedem möglich und es ist oft eines der schmerzhaftesten Piercings am Ohr.
Das liegt mitunter an dem in diesem Bereich liegenden Muskel (Musculus antitragicus), der ist zwar weitestgehend ohne Funktion, kann aber beim Piercing getroffen werden, was eben schmerzhaft ist. Die Abheilung kann durch das Schlafen auf dem Ohr verzögert werden, da das Piercing gerade bei einer Schwellung weit außen ungeschützt am Ohr liegt.
Das Daith wird in die Knorpelfalte direkt über dem Hörgang gestochen (Crus helicis). Diese Knorpelfalte ist nicht bei jedem Menschen soweit ausgebildet, dass dieses Piercing gestochen werden kann. Die Abheilung ist durch die geschützte Lage meist komplikationslos. Es ist ein für den Piercer anspruchsvolles Piercing und sollte deshalb nur von erfahrenen Piercern gestochen werden. Daher auch der Name: die erste Kundin, die das Piercing vom „Erfnder“ Erik Dakota gestochen bekam, nannte es Daith nach dem hebräischen „Daath“ (Weisheit; Intelligenz). Die Aussprache müsste demnach mit einem geteilten, langen „a“-Laut sein (wie „da-af“) und nicht wie meist ausgesprochen mit einem „ei“-Laut (wie „deif“ – wobei das „f“ ein englisches „th“ ist) – aber das Thema Aussprache von Piercingnamen wird langsam müßig, interessant ist es trotzdem!
Das Helixpiercing wird am äußeren Knorpelrand entlang des Ohres gestochen und kann dort beliebig platziert werden. Als Schmuck kommen sowohl Ringe als auch kurze Barbells mit verschiedenen Aufsätzen in Frage. Das Helix sollte wie alle anderen Knorpelpiercings auf keinen Fall mit der Ohrlochpistole geschossen werden, da gerade an dieser Stelle die Gefahr für Knorpelschäden, die zur Deformation des Ohres und schweren Entzündungen führen können, hoch ist. Das Piercing sollte gestochen oder gepuncht werden! Während des Abheilens sollte man von Belastungen des Ohres absehen (nicht drauf schlafen), das Helix ist eine sehr exponierte Stelle des Ohres.
Wird das Helixpiercing oben an der „Gesichtseite“ des Ohrs gestochen spricht man auch von einem „Inner Helix“, „Forward Helix“ oder „Ear Head Piercing“. Der letztere Begriff stammt vom ersten dokumentierten (bekannten) Piercing an dieser Stelle und wurde von Crystal Cross an Elayne Angels Ohr gestochen. An dieser Stelle des Ohrs befndet sich übrigens auch ein Muskel, der „Musculus helicis major“ – diese Platzie-rung kann also ebenfalls schmerzhafter sein und problematischer in der Abheilung.
Das Helixpiercing ist in vielen Kulturen bekannt und traditionell verwurzelt. Während es oft „nur“ reiner Ohrschmuck ist, hat(te) es zum Beispiel bei den Dayak (alternativ Dajak oder Dyak) eine tiefere Bedeutung.
Die Dayak sind übrigens kein einheitliches Volk, vielmehr ist der Name ein Sammelbegriff für mehrere hundert Volksgruppen und -stämme der Insel Borneo. Trug nun also ein Dayak-Krieger Schmuck aus Bärenzähnen und Glasperlen im oberen Bereich des Ohrs (Helix), so war das ein Zeichen für einen besonders tapferen (erfolgreichen) „Kopfjäger“ (als Kopfjagdbezeichnet man die Tötung eines Menschen um dessen Schädel als Kraft bringende oder magische Siegestrophäe zu erbeuten). Bekannt sind (waren) die Dayak übrigens auch noch für anderen Körperschmuck. So sind bei einigen Volksgruppen spezielle Tätowierungsstile entstanden; bei anderen Dayakstämmen gab es den Brauch, dass Männer einen „Penisstab“, einen so genannten Palang oder Apadravya, trugen und bei den Frauen vieler Dayak Stämme sind weit gedehnte Lobes mit Ear-Weights typisch. Wir werden also sicher noch das eine oder andere mal auf die Dayak zurückkommen!
Das Industrial besteht in der Regel aus zwei Helixpiercings, die durch einen Barbell miteinander verbunden werden. Durch diese Verbindung ist es gerade in den ersten Monaten wesentlich anfälliger für Komplikationen als andere Ohrknorpelpiercings. Es gibt verschiedene Arten und Herangehensweisen das Industrial zu stechen. Die einen schwören darauf erst einzelne Helixe zu stechen, diese abheilen zu lassen und dann erst den Stab durch beide einzusetzen; andere halten das Gegenteil für das Optimum, die Abheilung mit einem langen Stab durch beide Piecings ist zwar langwieriger, dafür ist das Industrial dann in seiner bleibenden Form fertig und muss nicht durch anderen Schmuck ersetzt werden. In jedem Fall sollte es aber von einem erfahrenen Piercer gestochen werden, da die Stichkanäle im exakten Winkel zueinander liegen müssen um unnötigen Druck auf den Ohrknorpel zu verhindern. Auch minimale Abweichungen können auf Dauer Wildfeischwucherungen und Schmerzen verursachen. Für ein „Industrialprojekt“ empfehlt sich auf jeden Fall ein Punch, also das Entfernen von Gewebe. Die Stichkanäle werden dadurch weniger „eng“ und lassen sich unkomplizierter verbinden.
Die Verbindung zweier unterschiedlicher Ohrknorpelpiercings wie z.B. dem Helix und dem Rook, dem Inner oder Outer Conch wird ebenfalls Industrial genannt; ebenso verbundenen Bauchnabelpiercings (Nabelindustrial).
Das Inner Conch wird in der inneren Ohrmuschel gestochen. Es kann dort beliebig platziert werden, man sollte jedoch darauf achten, dass die Kugel von der Rückseite nicht gegen den Schädel drückt. Da das Dehnen der inneren Ohrmuschel extrem unangenehm ist, wird dieses Piercing oft in der gewünschten Größe gestochen bzw. gepuncht. Wenn es entsprechend gestochen wird, ist es nach der Abheilzeit auch möglich einen großen Ring um das Ohr oder als „Orbital“ durch ein anderes Piercing hindurch zu tragen. Durch seine geschützte Lage ist die Abheilung meist unkompliziert, beim Stechen ist es jedoch oft schmerzhaft.
Als Risiko sollte hier auf jeden Fall die mögliche Beeinträchtigung des Hörens genannt werden. Durch den veränderten Schalleinfall durch den getragenen Schmuck kann es zu Veränderungen kommen oder eben zu einer Abdeckung des Gehörgangs.
Die eigentliche Hörfähigkeit wird aber nicht beeinträchtigt. Da es sich um einen Knorpel handelt, können auch hier durch falsches Piercen (Pistole) oder Komplikationen während der Heilung Knorpelschäden und Deformationen auftreten. Darüber hinaus besteht bei einer starken Infektion oder Entzündung dieses Piercings die Gefahr einer Gesichtslähmung; es existiert die Möglichkeit, dass sich eine Infektion über die Lymphen und das Innenohr auf den Gesichtsnerv ausbreitet. Konkrete Fälle sind uns aber nicht bekannt, es gibt lediglich einen Bericht aus den USA in dem die Gefahr aber gebannt wurde nachdem die Frau nach Schmerzen und Taubheitsgefühl im Gesichtsbereich beim Arzt war. Es gilt also wie bei allen Piercings die Pfege ernst zu nehmen und bei Anzeichen von Komplikationen direkt zum Arzt zu gehen!
Eine Nebenwirkung ergibt sich ebenfalls durch den Schmuck, selbst mit Plugs lassen sich oft (wie manchmal auch schon durch ein Traguspiercing) keine Knopfkopfhörer mehr tragen – aber der Klang ist bei großen Kopfhörern eh besser!
Das Inner-Conch-Piercing hat übrigens auch einen anthropologischen Ursprung, die Mangebetu (Naturvolk/Afrika) trugen dieses Piercing genauso wie die Gorak Naths (Sadhu/Indien), woher auch der alternative Name „Sadu-Piercing“ kommt.
In Indien hat das Piercing den Namen „Kanphati“, was gespaltenes Ohr bedeutet („Kan“ = Ohr, „Phat“ = spalten).
Das Lobepiercing ist allgemein als „das Ohrloch“ bekannt. Es ist das mit Abstand häufgste Piercing und auch das einzige, welches bei uns (leider) zu oft schon an kleinen Kindern zu sehen ist.
Die Abheilung ist meist unkompliziert und schnell, da das Ohrläppchen (Lobulus auricularis) aus gut durchblutetem Gewebe besteht und keiner besonderen Körperspannung oder Beanspruchung unterliegt.
Die Platzierung ist meist (klassisch) mittig, wobei auch oft mehrere Lobepiercings nebeneinander getragen werden – alle Piercings des Ohrläppchens bis an den Knorpel des Helixpiercings heran sind Lobepiercings.
Dieses Piercing ist wohl das am meisten gedehnte Piercing. Während die meisten Piercings nur bis zu ca. 10mm gedehnt werden (können), fangen beim Lobe dort erst die „interessanten Größen“ an für die es schönen Naturschmuck (Holz, Glas, Stein, usw.) und Motivplugs gibt.
Nach oben sind kaum Grenzen gesetzt, bei entsprechender Veranlagung und Anatomie sind Größen von weit mehr als 50mm möglich. Ebenfalls je nach Veranlagung und Anatomie muss man allerdings beachten, dass sich selbst beim Dehnen bis 10mm das Loch nicht wieder von alleine schließen muss.
Die Veränderung des Ohrläppchens kann dabei permanent sein und sich nur durch einen chirurgischen Eingriff beheben lassen. Das gleiche gilt für den „Käseschneideeffekt“, der oft durch zu dünnen und zu schweren Schmuck verursacht wird. Möchte man sein Lobe dehnen um z.B. Plugs zu tragen, so besteht auch die Möglichkeit das Ohrloch direkt in einer größeren Größe zu stechen oder mit dem Skalpell entsprechend zu schneiden. Ein Punch kommt dabei eher weniger zum Einsatz, da jedes entnommene Gewebe beim späteren Dehnen fehlt!
Während weiblicher Ohrschmuck „schon immer“ ein Teil unserer Kultur war, wurde der männliche Ohrring wohl erst durch die Jugendkultur der 80er populär, wobei es nie wirklich eine Bedeutung bzw. Rückschluss auf die sexuelle Orientierung gegeben hat, ob ein Mann nun rechts oder links seinen Ohrring trug.
Unter einem Orbital versteht man, ähnlich wie beim Industrial, zwei miteinander verbundene Piercings.
Dabei sind Orbitals statt mit einem Stab mit einem Ring (oder auch D-Ring) verbunden. Beide Piercings sollten vor dem Einsatz des Rings komplett ausgeheilt sein, da eine Heilung mit einem Ring anfälliger ist für Probleme (Hängenbleiben, „mechanische Belastung“, usw.). Je nach Ohrform ist ein Schmuckeinsatz an verschiedenen Stellen und zwischen unterschiedlichen Piercings möglich, z.B. bei Helix, Lobe oder Conch.
Das Outer Conch wird in der äußeren Ohrmuschel gepierct. Es geht zum Rand in das Helixpiercing über, liegt es also am Rand der Ohrmuschel, spricht man von einem Helixpiercing. Wie bei allen Knorpelpiercings empfehlt sich auch hier das Punchen, größere Punches sind im Outer Conch meistens gut möglich.
Analog zum „Sadu-Piercing“ der inneren Ohrmuschel ist ein alternativer Name des Piercings „Upper Sadu“.
Dieses Piercing wird in die obere Knorpelfalten zwischen der inneren und äußeren Ohrmuschel (Crura antihelicis) gestochen und geht nach unten in die Platzierung des Snugpiercings über. Es ist, ähnlich dem Daithpiercing, eines der schmerzhaften Piercings. Dazu kommt eine relativ langsame Abheilung, da es sich auch dort um sehr kompaktes, festes Knorpelgewebe handelt, das sehr exponiert am Ohr liegt. Die Belastung beim Schlafen, Telefonieren oder auch nur durch das „Drankommen“ im Alltag ist nicht zu unterschätzen. Als Schmuck kann nach der Abheilung sowohl ein Stab als auch ein kleiner Ring getragen werden.
Das Snugpiercing wird in der äußeren Knorpelfalte der inneren Ohrmuschel gestochen, dem Antihelix; daher auch der alternative Name unter dem viele dieses Piercing kennen–das Antihelixpiercing.
Auch dieses Piercing ist schmerzhaft und die Abheilung ähnlich dem Daith- und Rookpiercing langwierig.
Für den Ersteinsatz empfehlt sich je nach Anatomie ein gerader oder leicht gebogener Stab. Erst nach vollständiger Abheilung und längerer „Wartezeit“ sollte dann ein Ring eingesetzt werden.
Das Traguspiercing ist neben dem Helixpiercing wohl eines der beliebtesten Ohrknorpelpiercings und wird in den kleinen „Knorpelhügel“ (Lamina tragi) an der Gesichtsseite des Ohrs direkt vor dem Hörgang (Tragus; griechisch „trágos“ = Ziegenbock; „Tragi“ = Haare im äußeren Gehörgang; daher auch unter der Bezeichnung „Ziegenbock“ bekannt) gestochen.
Entgegen den Gerüchten ist es nicht möglich den Gesichtsnerv durch dieses Piercing zu schädigen. Durch die Nähe zu diesem sollten Entzündungen jedoch schnell behandelt werden um Risiken und Komplikationen im Vorfeld auszuschließen.
Ähnlich wie beim Antitraguspiercing an der Gesichtsseite des Ohrs, liegt auch beim Tragus ein Muskel (Musculus tragicus) „im Weg“, das Stechen kann also schmerzhafter sein und die Abheilung verzögert, wenn dieser unglücklich getroffen wird.
Im Traguspiercing können sowohl „Labretstecker“, Barbells als auch Ringe getragen werden. Als Ersteinsatz empfehlt sich allerdings ein Labretstecker oder gerader Barbell mit kleinen Kugeln.
Das Traguspiercing kann auch vertikal gestochen werden, das ist allerdings eine eher seltene Variante des Traguspiercings. Meistens handelt es sich bei derartigen Piercings um das so genannte Sideburnpiercing, also ein Surfacepiercing, das in die Haut vor dem Tragus gestochen wird. Das Vertical-Traguspiercing wurde zuerst von Luis Garcia gestochen bzw. dokumentiert. Zum Einsatz kommt meist ein gebogener Barbell (Banane; Curved Barbell).
Das Transverse-Lobepiercing (auch „Horizontal Lobe“) ist ein horizontales Lobepiercing, welches – anstatt von vorne nach hinten – von rechts nach links durch das Ohrläppchen gestochen wird. Es erfordert Erfahrung beim Stechen und wird meistens Freihand gestochen. Die Platzierung hängt von der Form des Ohrläppchens ab und ist ein wenig variabel.
Der Schmuck sollte der Platzierung angepasst sein, es kann aber sowohl ein gerader, als auch ein gebogener Barbell oder sogar (die Ausnahme) ein großer Ring getragen werden.
Die Abheilzeit ist länger als beim normalen Lobepiercing, da der Stichkanal natürlich erheblich länger ist. Das Transverse Lobe sollte sehr mittig im Ohrläppchen gestochen sein, da es zu tief platziert leicht herauswachsen kann.
Dieses Piercing neigt aufgrund seiner Länge und der Lage des Schmucks zu Komplikationen, besonders an den Enden des Stichkanals, ähnlich einem Surfacepiercing.
Das Vertical Lobe ist eine Kombination aus einem Antitraguspiercing und einem um 90 Grad gedrehten Transverse Lobe. Es wird mit einem langen Barbell senkrecht vom Antitragus zur Unterseite des Ohrläppchens gestochen. Es erfordert ebenfalls beim Stechen einen erfahrenen Piercer, da es genauso wie das Transverse Lobe bei falscher Platzierung herauswächst und es Freihand gestochen werden sollte. Die Abheilung ist in der Regel sehr langwierig, da das Piercing einen sehr langen Stichkanal hat und dazu durch einen Knorpel geht.
Es wird in der Regel ein langer gerader Barbell getragen. Interessante Kombinationen ergeben sich durch die Kombination eines gedehnten Lobepiercings und der Kombination mit einem entsprechend bearbeiteten Tunnel durch den der Stab geführt werden kann. Es gibt auch die Variante, dass aus einem gedehnten Ohrloch nur zu einer Seite ein Transverse-Lobepiercing gestochen wird.
Wobei die Bezeichnung „Transverse“ irreführend ist, aber von einem halben Vertical- oder Horizontal-Lobepiercing will man da wohl auch nicht sprechen. Da diese Art des Piercings einher geht mit speziell angefertigtem oder bearbeitetem Schmuck, sind die auch entsprechend selten!