Diesen Artikel habe ich in Zusammenarbeit mit Thorsten Sekira (damals – Mitte 2004 – noch Wildcat München, heute Stigmata Inc. Köln) geschrieben. Wobei Thorsten seine Erfahrung und Fachwissen dazu beitrug (in Gesprächen und Stichpunkten) und ich daraus diesen Artikel formte. Weiter unten folgt der zweite Teil (entstand ebenfalls in Zusammenarbeit mit Thorsten Mitte 2005) ; „The Excellence of Cutting“ beschäftigt sich mit dem, was alles schief gehen kann und was ein gutes Cutting ausmacht!
Wahrscheinlich ist Scarification (das Anbringen von Schmucknarben) nicht nur eine der intensivsten Formen der Body Modification, sondern nach Piercing und Tattoo auch die am meisten verbreitete und beliebteste Art den Körper zu verzieren. Mit Sicherheit ist Scarification aber die älteste Form der Body-Modification.
Oberflächlich betrachtet ist es ja auch die einfachste Art seinen Körper zu zieren und zu kennzeichnen – braucht es doch keine körperverträglichen Farben, Maschinen, Nadeln oder sonstiges besonderes Wissen sich eine Narbe zuzufügen. Scarification ist also die natürlichste Form des Körperschmucks, da der Körper selbst den Schmuck – die Narbe – produziert, ohne dass Fremdkörper wie Tattoofarbe oder Schmuck benutzt werden.
Kennt man bei verschiedenen Naturvölkern (z.B. Afrikas) Narben als Schmuck oder Kennzeichnung der Zugehörigkeit zu einem Clan oder einer Gruppe, sind uns in der westlichen Kultur Narben nur von Verletzungen her bekannt – sicher hat sogar fast jeder eine Narbe, ist also schon „verziert“. Allerdings geht es bei der Scarification nicht um Narben von Platzwunden am Kopf oder Schnitten, die bis auf den Knochen gehen sondern um kunstvolle Verzierung der Haut.
Diese kunstvollen Narben der „Modern Primitives“ brauchen neben einem ganzen Schwung Erfahrung auch Anatomisches Wissen und vor allem steriles und ordentliches Arbeiten um das gewünschte Ergebnis eines „gesunden“ Narben-Motives zu erreichen.
Das Ergebnis
Das Ergebnis der Narbe hängt selbstverständlich stark von der Art der Wunde und der Technik mit der sie geschaffen wurde ab – allerdings bleibt jeder Scarification etwas natürliches und ursprüngliches – denn die Narbenbildung und das Narben-Bild lässt sich nicht mit der Präzision eines Tattoos vergleichen, welches ja größtenteils exakt planbar und filigran auszuführen ist. Bevor wir aber zu den verschiedenen Möglichkeiten des Anbringens einer Narbe kommen (Cutting, Branding …) möchten wir kurz auf die Narbenbildung der Haut allgemein ein gehen – es ist wichtig die Grundlage zu kennen um das Ergebnis planen und verstehen zu können.
Die Haut
Die Haut ist der äußere Schutzmantel des Körpers gegen die Außenwelt und ist in mehreren Schichten aufgebaut. Kommt es zu einer Verletzung der Haut, setzt der Körper also alles in Bewegung um dieses „Loch“ im Schutzmantel zu stopfen. Wird nur die äußerste Hautschicht verletzt heilt die Haut spurlos, nur bei tieferen Verletzungen die bis zur Lederhaut und der Unterhaut reichen bilden sich Narben.
Die Wundheilung verläuft in mehreren Phasen, zunächst bildet sich im Wundbereich ein sehr zellreiches Bindegewebe, das zahlreiche Gefäßsprossen enthält (Granulationsgewebe). Vom Wundrand her wächst dann die Regenerationsschicht der Oberhaut (Stratum Germinativum), danach setzt die Verhornung ein und die Wunde ist geschlossen, die Narbe gebildet. Vermehrt man nun gezielt das Granulationsgewebe durch beabsichtigte Verzögerungen der Wundheilung, kommt es an der verletzten Stelle zur gewünschten und vermehrten Narbenbildung.
Narbengewebe
Das Narbengewebe bildet sich allerdings nicht nur gleichmäßig und analog zur Art, Tiefe und Größe der Wunde sondern auch entsprechend der Behandlung und Bedingungen während der Wundheilung. Jeder kennt Narben, die an manchen Stellen dicker oder breiter ausgeprägt sind als an anderen Stellen, die Ursache ist nicht immer eine entsprechend geformte Wunde. Stellt man sich eine Narbe vom Bauchnabel zur Außenseite des Oberschenkels vor, würde sich diese z.B. beim Laufen unterschiedlich bewegen. Einige Teile der Narbe würden gedehnt, andere zusammengepresst und wieder andere bewegten sich gar nicht. Bei einer „natürlichen“ oder OP-Wunde würde das dazu führen, das die verheilte Narbe wegen der sehr unterschiedlichen „Beanspruchung“ der Haut während des Heilungsprozesses ungleichmäßig und uneben ist. Bei einer gezielten Scarification muss also dieser stufenweise Übergang der Hautunterschiede (Hautspannung und Dicke) mit der jeweils angewendeten Technik ausgeglichen werden. Im wesentlichen gibt es zwei Arten Scarifications zu erzeugen; das Schneiden (Cutting) und Brennen (Branding).
Cutting
Das Cutting (schneiden der Haut mit einem Skalpell) ist die technisch versierteste Art Narben gezielt zu setzen und gleichmäßige Ergebnisse zu erzielen. Mit dem Skalpell lässt sich sehr fein und ordentlich arbeiten, wenn auch die Ansprüche an die Technik und das Fingerspritzengefühl des Artists sehr hoch sind um die gewünschten Narben zu bekommen.
Mit verschiedenen Cutting Techniken lassen sich fast alle denkbaren Motive erzielen – so können auch großflächige Narben zum Beispiel durch Skin-Removal (Hautentfernung) realisiert werden.
Während sich das „normale“ Cutting auf das Schneiden und Entfernen der Haut beschränkt gibt es weitere Möglichkeiten wie das in ursprünglichen Kulturen Afrikas praktizierte „Packing“. Beim Packing wird ein tiefer schräger Schnitt gesetzt um eine Hauttasche zu bilden, in diese wird dann ein Objekt (meistens Ton) eingesetzt. Die Wunde wird dann verschlossen – eine massive Narbenbildung, welche den Fremdkörper ausstößt oder umschließt ist die Folge.
Eine weitere Cutting Technik ist das erzeugen von Narben mit der Tattoomaschine. Sicher kennt der ein oder andere vernarbte Tattoos von zu kräftig geratenen Tätowierer Händen – ärgerlich!
Aber genau dieser Effekt kann genutzt werden indem man die Tattoomaschine ohne Farbe laufen lässt, die (gespreizte) Nadel zu weit aus der Maschine kommen lässt um so im Vergleich mit einem Tattoo viel tiefer zu stechen. Allerdings ist die resultierende Narbenbildung meist nur schwach und ist bestenfalls in leicht geänderter Haut-Tönung zu sehen.
Branding
Das Branding teilt sich hauptsächlich in zwei Formen; Dem „Strike Branding“ – hier werden geformten Metallstempel mit z.B. einem Bunsenbrenner erhitzt und ähnlich dem Brandzeichen von Tieren auf die Haut gepresst. Diese Form des Branding ergibt in der Regel keine sehr schönen und regelmäßigen Narben.
Vermutlich ist das Strike Branding jedoch die gängigste Form des Branding obwohl mit dieser Methode keine kleinen und geschlossenen Formen gebrannt werden können und das gewünschte Design sich aus verschiedenen einfachen Grund formen zusammensetzen muss.
Eine nicht nur theoretisch alternative Form des Strike-Brandings ist das „Kälte-Branding“ hier wird anstatt mit Hitze, mit extremer Kälte gearbeitet. So kann ein Metallstempel, der zuvor in flüssiges Stickstoff getaucht wurde ebenfalls kräftige Narben durch die Verbrennung mit Kälte hinterlassen. Das Kälte-Branding dürfte allerdings wegen dem nicht ungefährlichem und umständlichen Umgang mit flüssigem Stickstoff eher selten sein.
Ein generelles Problem ist allen Formen des Strike Brandings gemein, ist die Hitze oder Kälte falsch dosiert kann es zu Gewebe-Anhaftungen am Stempel kommen, was beim zurückziehen zum Abreißen von Hautteilen führt.
Eine gute Alternative ist das „Cautery Branding“ – hier ist eine recht genaue „Steuerung“ des Motivs möglich, was später zu einem deutlich besseren Narbenbild führt. Beim Cautery Branding wird mit einem chirurgischen Gerät, dem so genannten „HF-Kauter“ die Haut mittels Strom verödet. Der HF-Kauter ist ähnlich dem Skalpell beim Cutting präzise und komfortabel zu handhaben.
Neben diesen beiden Gruppen der Scarification, Cutting und Branding mit all Ihren Spielarten, gibt es verschiedene andere experimentelle oder gewagte Wege die wir hier nicht unerwähnt lassen wollen.
Alternativen
Die Alternativen Wege zur Narbe sind aus unserer Sicht nicht empfehlenswert aber dennoch existent. Da wäre z.B. die „Chemical Scarification“ bei der mit Verätzungen der Haut mittels Auftrag oder Injektion von ätzenden Stoffen / Flüssigkeiten gearbeitet wird. Dosierung der Menge und Einwirkzeit dürften hier das hauptsächliche Problem sein.
Eine abenteuerliche Form der anderen Art ist das Entfernen von Haut unter Zuhilfenahme von technischem Gerät wie dem Dremel, mit dem die Haut wortwörtlich abgefräst wird. Keine besonders ratsame Methode, kennt man doch vom Fräsen in Holz und Metall den immensen Späne und Splitterflug, der durch die mechanischen Kräfte entsteht. Bezogen auf Haut und Blut sicher keine sehr angenehme und hygienische Vorstellung.
Heilung
Die Abheilung und Behandlung der noch frischen Wunde sind ohne Zweifel der wichtigste Part einer Scarification, denn hier liegt das „Geheimnis“ prächtiger und gelungener Narben. Zuerst möchten wir aber mit einem wilden Gerücht diesbezüglich aufräumen. So wird oft behauptet, das Einreiben von Tattoo-Farben in die Wunde (das sog. Ink Rubbing) würde kräftige farbige Narben ergeben – so besagt die Theorie das die Farbe wie bei einem Tattoo durch das neu gebildete Gewebe eingeschlossen wird. Die Praxis zeigt jedoch, dass die Farbe recht effektiv durch den Wundheilungsprozess als Fremdstoff vom Körper nach außen getragen wird.
Jede frische Scarification muss mit großer Sorgfalt behandelt werden, da dem Körper eine ziemlich große Verletzung zugefügt wurde und man die Wundheilung absichtlich verzögern muss um möglichst schöne und deutliche Narben zu erhalten. Die frische Wunde sollte immer nur mit sauberen Händen angefasst werden und während der Abheilphase sollte auf penibelste Hygiene im Allgemeinen geachtet werden.
Nach dem Schneiden oder Brennen sollte man die Wunde verkrusten lassen und um die Heilung zu verzögern ist es angebracht die Wunde unter sauberen Bedingungen kontrolliert zu reizen. Je nach Art, Dauer und Intensität ergeben sich dann verschieden gute Narbenergebnisse.
Je länger und intensiver die Reizung ist, desto mehr Narbengewebe wird erzeugt werden. Die Reizung erfolgt durch kontrolliertes Entfernen der Kruste und Öffnung der Wunde; dieses Öffnen und Entfernen erfolgt am besten nachdem man die Kruste vorher aufgeweicht hat (nach dem Duschen oder besser nachdem man die Wunde mit steriler Kochsalzlösung getränkt hat). Es gibt zwei bewährte Methoden die aufgeweichte Kruste komplett zu entfernen – entweder mit einer Pinzette abziehen oder mit einer weichen Zahnbürste die Kruste abreiben, für welche Methode man sich entscheidet, sollte jedem selbst überlassen sein. Ein weiteres Mittel, dass man verwenden kann wäre Betaisodona Wundsalbe. Diese jodhaltige Wund salbe ist ziemlich stark kristallin, diese feinen Kristalle eignen sich gut zum sauberen Reizen der Wunde (vor allem mit der Zahnbürste). Das Öffnen der Wunde stellt natürlich jedes Mal wieder ein Risiko dar, da der Körper wieder mit einer offenen Wunde konfrontiert ist. Nicht nur aus diesem Grund ist bei der Pflege von Cuttings wirklich auf peinlichste Sauberkeit zu achten.
Pflege
Diese „Pflege“ der Scarification erfolgt so lange sich neue Krusten bilden, die man entfernen kann. Das dauert in der Regel drei bis sechs Wochen in dieser Zeit bilden sich die Narben vollständig.
Zu Beginn sind die meisten Narben noch tief, werden jedoch mit der Zeit immer höher bis sie sich schließlich zu schönen erhabenen Narben entwickelt haben – den so genannten Keloid-Narben. Diese Transformation des Narbengewebes kann bis zu einem halben Jahr und länger dauern.
Die Narbenbildung wird von einem mehr oder weniger starkem Juckreiz begleitet, ähnlich dem Juckreiz eines verheilenden Tattoos.
Schmerzen
Der Schmerz eint fast alle Bodymodifications und modernen Körperschmuckformen doch sei gesagt, dass Scarification für viele Außenstehende furchtbar schmerzhaft und brutal aussehen mag, der eigentliche Schmerz des Schneidens oder Brennens nicht viel höher als der des Tätowieren ist. Auch wenn Schmerzempfinden immer eine subjektive Angelegenheit ist wollen wir es hier nicht unerwähnt lassen.
Das Wichtigste allerdings gilt in Bezug auf Scarification noch mehr als bei allen anderen Formen des Körperschmucks, der Kunde sollte sich vorher genau über die Fertigkeiten des Künstlers informieren und sich auch ein Portfolio von Arbeiten zeigen lassen in dem sich auch Bilder der Abheilung und vor allem auch der verheilten Arbeiten finden. Jemanden mit einem Skalpell oder glühenden Eisen an seinem Körper arbeiten zu lassen erfordert viel Vertrauen. Ausführliche Beratungsgespräche, detaillierte Aufklärung und Planung des Motivs sind im Vorfeld auf jeden Fall notwendig und sollten nicht zu kurz kommen.
Scarification ist und bleibt eine der intensivsten und intimsten Erfahrung, die man machen kann.
[ad]Nachdem wir Euch in der ersten EXPAND Ausgabe in einem Special die verschiedenen Scarification – Arten mit Schwerpunkt auf Cutting vorgestellt haben, war das Interesse und die Reaktionen groß. Ein wenig hat uns die breite Akzeptanz und Neugier für diese doch noch abseits des „Mainstream“ stehende Form der Körpermodifikation angenehm überrascht!
Leider – wie bei so vielen Dingen wenn Sie in den Fokus der Öffentlichkeit gelangen – lassen auch „schwarze Schafe“ und „Hobbyschnippler“ nicht lange auf sich warten und schon erreichten uns erste eMail in denen wir Fotos und Storys zu Gesicht bekamen, das einem die Haare zu Berge stehen. Die erste Überlegung war solche Werke an den „Pranger“ zu stellen und öffentlich die Defizite zu besprechen, aber damit ist weder den „Opfern“ geholfen noch der Sache an sich. Daher haben wir uns entschlossen positiv an die Sache heran zu gehen und diese Seiten „The Excellence of Cutting“ geschaffen um zu zeigen was geht und wie ein gute Cutting aussieht.
Die Werke (Bilder zu dem Artikel) stammen allesamt aus der Klinge von Thorsten (Wildcat München) nicht weil er der einzige Artist in Deutschland oder Europa ist – aber sicher einer der Besten seiner Zunft. Dazu kommt, dass dieser Artikel sehr kurzfristig entstanden ist als Reaktion auf die oben beschriebenen Ereignisse.
An dieser Stelle also der Aufruf an alle Bodyart begeisterten, die Werke tragen welche das Prädikat „The Excellence of …“ verdienen oder solche geschaffen haben – zögert nicht uns zu kontaktieren! In den folgenden EXPAND Magazinen gilt es Seitenweise weiße Fläche zu bedrucken und am liebsten würden wir das mit positiven, schönen und atemberaubenden Kunstwerken tun!
Die häufigsten Fehler
„Begebt euch nicht in die Hände von Pfuschern“ – das wäre ein etwas verzweifelt klingender aber sicher Angebrachter Appell an alle Bodyart-Begeisterten, die sich für ein Cutting interessieren. Um den „Blick hinter die Kulissen“ ein wenig zu schärfen, wollen wir hier einmal die schlimmsten Fehler nennen:
Falsche Klingen
Gerade Anfänger aber auch weniger gut ausgerüstete „Hobby Schnippler“ verwenden meist falsche Klingen. Es gibt die unterschiedlichsten Formen und Größen, die jeweils ihren Eigenschaften entsprechend eingesetzt werden sollten. Verwendet man die falschen Klingen, wird das kontrollierte Schneiden erschwert und es ist unter Umständen gar nicht mehr möglich Feinheiten auszuarbeiten.
Klinge wechseln
Ebenfalls ein beliebter Fehler ist das Schneiden ganzer Cutting-Projekte mit nur einer Klinge. Das wird sehr schnell zur schmerzhaften Angelegenheit für den Kunden, denn selbst eine gute Klinge wird schnell stumpf. Eine stumpfe Klinge bietet dann einfach nicht mehr den gleichmäßigen und sauberen Schnitt, den man für präzises Arbeiten braucht.
Die Motive
Cutting kann sehr kunstvoll und vielseitig sein – leider wird bei aller Anatomie und Technik das Üben ordentlicher Linienführung vernachlässigt. Die Haut ist kein Blatt Papier, das man wegschmeißt und sich ein neues holt wenn man sich verschnitten hat. Auch ist ein Skalpell kein Pinsel, eine Linie muss immer gezogen werden und das im korrekten Winkel und in der richtigen Tiefe.
Die Ästhetik
Zu oft bleibt leider auch die Ästhetik auf der Strecke. Ist die Motivauswahl gelungen, bleibt die Schwierigkeit der ästhetischen Platzierung am Körper. So gilt es nicht nur Bewegungsfalten und Gelenke zu berücksichtigen sondern auch die Schwerkraft – ein Cutting wird zwar im Liegen geschnitten, meist aber im Stehen betrachtet und „getragen“
Die Anatomie
Fehlen grundsätzliche Kenntnisse der Anatomie, wird es meist nichts mit einem ordentlichen Cutting. Vielen Hobby-Cuttern sind die „Langerschen Spaltlinien“, die die Richtung der geringsten Dehnbarkeit der Haut markieren, ein Fremdwort. Die Haut wird nicht oder nicht richtig gespannt und der Schnitt nicht der „Umgebung“ angepasst – damit entstehen unregelmäßige Linien und das Motiv misslingt.
Die Hygiene
Die Hygieneanforderungen sind beim Cutting mindestens so hoch anzusetzen wie beim Piercing (siehe „SO PIERCEN WIR“). Wer einen solchen Rahmen nicht bieten kann sollte davon absehen an anderen Menschen zu arbeiten.
Die Anleitung
Auch in der Anleitung, die der Kunde mit auf den Weg nach Hause bekommt macht sich leider zu oft mangelndes Wissen um die Behandlung der Wunde und die Pflege allgemein bemerkbar. Gerade beim Cutting möchte man ja eine Keloide Narbenbildung – allerdings ist eine natürliche Veranlagung zu Bildung dieser Narben eher bei jungen und farbigen Menschen gegeben. So mancher Kunde muss also auf „Tricks“ zurückgreifen um die „Wucherungen“ einer Keloiden Narbe anzuregen.
Präzises Arbeiten
Wie schon erwähnt, verzeiht die Haut keine Fehler – der Cutting Artist muss also in der Lage sein längere Zeit konzentriert zu arbeiten. Die Zeit sollte man sich auch nehmen es gibt keine Abkürzungen („there are no shortcuts“).
Anfängerfehler
Die typischen Anfängerfehler, die man auch nur durch langes Üben in den Griff bekommt sind unregelmäßige Schnitttiefen und das Überschneiden der Spitzen („cross cutting“). Gerade im flachen Winkel zulaufende Spitzen und Ecken sind sehr schwierig auszuarbeiten.
Selbstüberschätzung
Nach anfänglichen Erfolgen neigt man dazu seine Fähigkeiten und Ausdauer zu überschätzen. Das Ergebnis sind Projekte und Motive, die in ihrer Filigranität oder Größe nicht bewältigt werden können. Wie bei vielen Sachen gilt auch beim Cutting „Übung macht den Meister“ und nur ein langsames Steigern und Heranarbeiten an komplexere Motive gewährleistet ein hohes Niveau.
Gerade auch fortgeschrittenere Techniken wie das Skin Removal (flächiges Entfernen der oberen Hautschichten) fordern viel Übung, Erfahrung und zusätzliches Wissen.
Das Thema Phuket Vegetarian Festival habe ich zwei mal redaktionell bearbeitet (Blogs mal aussen vor) – das erste mal Mitte 2004 nachdem ich ganz fasziniert eine ganze Reihe von Bildern dazu eingescannt hatte. Die Bilder hatte ich für John (Wildcat England) gescannt, der einige male dort war und reichlich Bildmaterial mitgebracht hatte! Das zweite mal (ebenfalls für das Expand) beschäftigte mich das Vegetarian festival als ich einen Artikel – bzw. Reisebericht – von Olli (Visajavara Nürnberg) für das EXPAND Magazin überarbeiten durfte (von 10.000 auf 15.000 Zeichen – halt einige Fakten ergänzt und ein wenig ausfomuliert).
Hier nun beide Artikel zu dem Thema mit dem Dank an John und Olli für ihre Unterstützung und besonders an Olli für die tollen Bilder:
EXPAND Magazin #1 2004 – von Stephan Strestik
Jedes Jahr im 8. Mondmonats des chinesischen Kalenders bietet sich dem Besucher der kleinen Insel Phuket (Thailand) ein mindestens so seltsames wie interessantes Schauspiel – eine „Parade der Fakire“ will man auf den ersten Blick meinen.
In nicht enden wollenden Prozessionen sieht man Menschen, die sich die Wangen mit Eisenstangen, Ketten und allerhand anderem Gerät durchbohren oder mit Glocken und Gewichten die direkt in die Haut „gepierct“ wurden behangen sind.
Auf festlich geschmückten Plätzen kann man anderen beim Laufen über glühende Kohlen oder dem Besteigen von Leitern deren Sprossen aus scharfen Schwertern und Messerklingen gebaut sind zusehen.
Doch das Vegetarian Festival ist mehr als nur ein „Showlaufen“. Die Tradition des Vegetarian Festivals – so erzählt m an – geht zurück auf die Zeit der Regentschaft des Königs Rama V. 1868-1910, zu dieser Zeit kamen viele Menschen aus China und Malaysia auf der Suche nach Arbeit in den Mienen und Kautschukplan tagen nach Phuket.
Das erste Vegetarian Festival wurde in Kathu District im Südwesten von Phuket von einer chinesischen Schauspiel – Truppe zelebriert um durch die Kraft und Gunst der Götter die seiner Zeit ausgebrochene Malaria – Epidemie zu besiegen.
Neun Tage und Nächte lang werden verschiedene spirituelle Rituale und Prozessionen gehalten. Vor diesen neun Tagen des „Vegetarian Festivals“, gibt es für einige Tage eine Fastenperiode um Körper und Seele zu reinigen. Das Tragen von weißer Kleidung während des Festivals symbolisiert die so „gereinigten“ Teilnehmer, für die während der Festivalzeit verschiedene Regeln gelten:
Der Ablauf ist jeden Tag in etwa gleich – gegen 5 Uhr morgens werden die Trommeln geschlagen und die Glocken geläutet. Rauch vom brennenden Sandelholz liegt wie ein Schleier über den Plätzen und Straßen, es werden hunderte Kerzen an Statuen chinesischen Götter und Kaiser aufgestellt. Die Medien bereiten sich auf die Ankunft des Geistes vor, der in Ihre Körper fährt – dann verändern sich Ihre Gesichtsausdrücke, ihre Stimmen und Körperbewegungen – der Geist Ihrer Götter ist nun in Ihnen und Sie gehen zu ihren Helfern, die ihnen Nägeln, Eisenstangen, Messer, Rohre und viele andere Dinge durch die Wangen, Zunge und andere Körperstellen stechen. Durch die Kraft der Götter spüren Sie dabei keinerlei Schmerz und es fließt auch nicht viel Blut aus ihren Wunden.
Einige Medien werden mit einer Kette, einem Schlauch oder einer langen Stange, die durch die Wangen gestochen werden, miteinander verbunden und laufen gemeinsam als Eins mit der Prozession durch die Stadt zu einem der 5 Tempel der Insel Phuket. Andere Medien haben große Schreine und Bilder Ihrer Götter an Stangenaufbauten am Körper befestigt und tragen diese mit der Prozession durch die Straßen – die stützenden Stangen und haltenden Seile durch Haken an der Haut befestigt bohren sich dabei im m er weiter ins Fleisch.
Mit diesen schmerzhaften Ritualen und der anschließenden Tortur der Prozession zeigen die Medien die Energie und Kraft ihrer Götter die in Ihnen sind und stärken Ihren eigenen Glauben und reinigen sich vom Schlechten.
Neben der Prozession gehört das Laufen über heiße Kohle ebenfalls zum Ritus des Festivals. Der Kohleteppich ist einige Zentimeter hoch, die Flammen werden im m er wieder mit einem Blaseblag auf`s neue entfacht. Medien laufen über die glühenden Kohlen ohne sich zu verletzen oder steigen auf eine Leiter deren Sprossen aus messerscharfen Klingen besteht oben angekommen beten sie zu ihren Göttern.
Am neunten Tag verlässt der Geist nach der letzten Prozession die Körper der Medien und das Festival ist zu Ende.
Was bleibt sind die Narben und der beseelte, zufriedene Ausdruck in den Gesichtern der Teilnehmer, dankbar für neun Tage Frieden und Reinigung – gestärkt für den Alltag durch die Kraft Ihrer Götter.
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In unserer ersten Ausgabe 2004 (EXPAND #1) haben wir bereits über die Ursprünge und den Ablauf des Vegetarian Festivals auf der Insel Phuket in Thailand berichtet. Inzwischen hat das Thema ja auch seinen Weg in die Mainstream Presse gefunden und wird dort leider zu oft vom Boulevard aufgenommen und dient dort jedes Jahr nur dem Schock-Effekt für den die abenteuerlichsten Sachen präsentiert werden, die die Leute der Prozession sich dort durch de Backen piercen. Um einmal einen kleinen Blick „hinter die Kulissen“ zu werfen, haben wir Oli von Visavajara Nürnberg gewinnen können für uns hier einen Reisebericht zu schreiben:
Mitten drin statt nur dabei!
Fallen die Worte „Vegetarian Festival“ haben die meisten Leute hier zu lande Bilder von Menschen im Kopf, die sich mit allen möglichen Gegenständen die Wangen durchbohren und damit wie in Trance eine (für uns) bizarre Prozession laufen. Diese Bilder, die ich hier in meinem Reisebericht natürlich nicht vernachlässigt werde, verursachen oft neben Faszination auch Ekel und Sprachlosigkeit. Um dem zu begegnen werde ich versuchen in diesem Reisebericht mehr auf den ganzen Ablauf des Festivals und die Dinge drumherum einzugehen. Denn diese Bereiche gehören genauso zum Vegetarian Festival, wie die uns allen nun reichlich bekannten Bilder.
Das Stechen
Das Ritual des Stechens beginnt jeden morgen schon um 5 Uhr in dem Tempel, dessen Angehörige an diesem Tag die Prozession laufen. Das Durchstechen der Wange wird mit einem spitzen, schweren und ziemlich großen konischem Werkzeug aus Edelstahl vorgenommen, welches einem etwas überdimensioniertem Insertion Pin ähnelt. Das Werkzeug hat wirklich nichts mit einer Piercingnadel wie wir es kennen gemein und ist aus massivem Stahl, wiegt also ca. zwei bis drei Kilo und ist je nach Ausführung durchaus bis zu einen Durchmesser von bis zu 5cm oder gar mehr zu haben. Man konnte beobachten, dass das Durchstechen der Wangen mit dieser Stahlspitze einen enormen Kraftaufwand benötigt bis das Gewebe der Wange durchdrungen ist. Jeder, der schon mal einen Backenspieß gesetzt hat oder eine der auf Conventions so beliebten Fakir Shows gesehen hat, weiß welche Kraft man benötigt um diese meist nur 3 mm starken Spieße durch das Gewebe zu bekommen; hier in Phuket gibt man sich mit so Kleinkram allerdings in der Regel selten zufrieden und das zehnfache (30mm) darf es schon gerne einmal sein, wobei die Skala nach oben jedes Jahr aufs neue offen zu sein scheint.
Ist die Wange mit der Spitze erst einmal durchstochen, dehnt sich das Gewebe durch das Nachschieben des konischen Werkzeugs noch ein wenig und fängt dann an gleichmäßig nach oben und unten hin zu reißen. Natürlich ist beim Stechen die Stärke (Größe des Lochs) zu beachten, die benötigt wird um das gewünschte Objekt einsetzen zu können; dies erfolgt allerdings nur durch eine grobe Abschätzung oder besser Abgleich des Stechwerkzeugs mit dem später einzusetzendem Objekt. Manchmal kann es so passieren, dass die Öffnung etwas zu groß gerät und den Blick auf die obere und untere Zahnreihe frei gibt, was durchaus ein gewöhnungsbedürftiger Anblick ist. Es kommt aber auch vor, dass eine Öffnung zu klein ausfällt, was dann durch kurzes Nachstechen korrigiert wird, oder es wird einfach kurzerhand ein neuer Gegenstand mit passender Größe organisiert. In der anfallenden Wartezeit tun es dann auch zwei bis drei Finger durch die Wange um die Wunde „mal eben“ offen und entsprechend geweitet zu halten.
Bilder zum Artikel:
[album=3,extend]
Der Umgang und die Aufbereitung der Utensilien ist oft auch recht unbedarft, so werden diese zum Teil einfach mit Isolierband, Tesafilm oder ähnlichem umwickelt damit sie besser einführt werden können oder – falls nötig – um ein paar Millimeter an Durchmesser zu gewinnen.
Die Piercing-Tools, die zum Stechen benutzt werden, bringen die Medien – also diejenigen, die auserwählt sind sich stechen zu lassen und die Prozession zu laufen – selber mit. Alternativ kann derjenige, der für das Piercen zuständig ist ein solches Tool auch mehrfach verwenden, wobei diese dann nach jedem Gebrauch mit Watte und einer Desinfektionslösung, die an ein Listerine, Öl Gemisch erinnert, gesäubert werden.
Es gibt in jedem Tempel gleich mehrere Plätze an denen gepierct wird, die sehen danach dann entsprechend aus und sind mit Watte und Handschuhen übersät. Nicht immer aber in den meisten Fällen werden übrigens Handschuhe benutzt was aber nicht unbedingt bedeutet, dass diese nach jeden Medium gewechselt werden oder einem hygienischen Arbeitsgang gewährleisten sollen.
Es gab übrigens auch „Farangs“ (wie die Ausländer in Thailand bezeichnet werden) zu sehen, die gepierct haben, was vor einigen Jahren noch nicht gestattet war. Dieses wurde allerdings nicht von jedem Medium unbedingt positiv aufgenommen und manche weigerten sich von diesen gestochen zu werden. Die Presse und das Fernsehen aus dem Ausland wurden dagegen umso mehr von dieser Tatsache angezogen und mischte sich eher rüpelhaft in das Geschehen um ja die „beste Einstellungen“ und die „tollsten Bilder“ zu bekommen. Als westlicher Besucher wünscht man sich in einer solchen Situation schon etwas mehr Respekt und Achtsamkeit gegenüber den Medien und Ritualen – leider war das nicht die einzige Gelegenheit zu der die „westliche Sensationspresse“ unangenehm auffiel.
Die Prozession
Nach dem Stechen und Einsetzen der Gegenstände beginnt dann die eigentliche Prozession wobei sich die Längste über 12 Kilometer erstreckt. Man kann sich kaum vorstellen welche enormen Anstrengungen erforderlich sind um eine solch lange Strecke zu laufen. Gerade „Medien“ mit großen Gegenständen oder andere beladene Prozessions-Träger leisten da enormes.
So „brachial“ die Eingriffe des Einpiercens der Gegenstände auch sein mögen, die Wangen der „Medien“ bluten natürlich nicht die ganze Zeit – ganz im Gegenteil – man ist eigentlich fast ein wenig überrascht wie wenig Blut fließt. Was allerdings – bei genauer Überlegung – logisch ist, da das Gewebe durch das durchstechen, aufdehnen und einreissen schon erheblich traumatisiert wird. Eine leichte Schwellung ist direkt erkennbar und der Schock für den Körper und die damit verbundene Ausschüttung von Adrenalin lässt die Gefäße verengen und den Blutdruck steigen. Dazu kommt der Gerinnungsprozess, der einsetzt sobald Blut mit einer anderen Oberfläche in Berührung kommt und natürlich der Druck, der eingesetzten Gegenstände auf die Wunde. Wobei an der Stelle gesagt sein soll, dass manchmal auch wenig Blut schon dramatisch aussehen kann.
Auf der Strecke sah man dann vor fast jedem Geschäft einen kleinen Altar mit Gaben für die Medien aufgebaut um deren Segen zu erhalten und den gesamten Weg über wurde man von ohrenbetäubendem Lärm begleitet. Es krachte und knallte von langen Stangen an denen kiloweise Knallkörper befestigt waren und die über den Sänften der Götterstatuen gehalten wurden, um diese zu wecken. Die Sänften werden von Sänftenträgern über die gesamte Prozession getragen, was für diese bedeutet über die ganze Zeit hin einem permanent extremen Lärm ausgesetzt zu sein und auch mal bis zu Handflächen große Verbrennungen von herab fallenden Knallern davon zu tragen. Wenn ein Ahnungsloser unbedarft auf diese Szenerie träfe, könnte es den Anschein von Krieg haben.
Als Besucher sollte man auch tunlichst auf herum fliegendes Feuerwerk achten, da die bei Einschlag und Explosion in Gesichtsnähe ganz schön ziepen können und auch das Gehör Schaden nehmen könnte. Mein Fazit: Sänftenträger zu sein mag eine Ehre sein, aber es ist ein echter Knochenjob und die tapferen Jungs verdient in jedem Fall meine Hochachtung.
Das Drumherum
Auf der ganzen Welt gilt es inzwischen: „Keine Veranstaltung ohne Werbung“! (?) So macht auch die Werbung vor dem Vegetarian Festival keinen Halt; zwischen all den Helfern, Medien und getragenen Sänften tauchen immer wieder Plakatträger oder lustig verkleidete Leute auf, die ihre Werbebotschaft an den Mann, die Frau und das Kind bringen wollen.
Kinder sind übrigens auf dem gesamten Event in Scharen unterwegs und freuen sich über die Medien, die vorbei laufen und ihnen den Segen erteilen oder Obst und Süßigkeiten verteilen. Für die Kinder in Thailand ist die ganze Veranstaltung mit allen ihren uns bizarr anmutenden Bildern ganz normal und Teil der Kultur. Was Deutschland wahrscheinlich aus Jugendschutzgründen rechtlich nicht denkbar wäre, ist dort ein Fest für jedes Alter – ähnlich unserem Straßenkarneval! Ich habe dort auf jeden Fall nur lachende Kinder gesehen, die eine Menge Spaß hatten. Selbst das jüngste Medium, dass ich an einer Prozession teilnehmen sah, war zarte 13 Jahre alt und trug einem ca. 1cm dicken Backenspieß durch die Wangen.
Wundversorgung
Nach der Prozession geht es dann für die Medien zurück in den Tempel, in dem dann die getragenen Gegenstände entfernt werden. Was manchmal auch nur mit Hilfe von Werkzeugen wie Bolzenschneidern oder ähnlichem möglich ist, da ja bekanntlich nicht immer alles so leicht raus geht, wie rein ging. Auch hier sind im Verhältnis zu der Größe der Verletzungen die Blutungen eher sehr gering – Ausnahmen gibt es natürlich auch, wenn z.B. ein größeres Gefäß beim Piercen beschädigt wurde. Die Nachsorge war vom Standpunkt eines Piercers aus „ungewöhnlich“ aber es funktioniert wohl. Die Wunden wurden im Tempel mit Wasser abgespült und dann wurde erst einmal ein Stück „heiliges Papier“ darauf gedrückt um die Blutung zu stoppen und die Wunde zu bedecken. Die sich in der Hitze und stehenden Luft des Tempels entwickelnde Geruchsmischung von Blut, Knallkörpern, Schweiß und Raucherstäbchen war dann auch entsprechend gewöhnungsbedürftig.
Auch die weitere Wundversorgung war recht einfach, so konnte man frei dem Motto „wozu Nahtmaterial verwenden wenn es Pflaster gibt“ viele der Medien, die meist beim Piercen in einem anderen Tempel halfen, mit geschwollenen Wangen und ein bis zwei Pflasterstreifen über den Wunden sehen. Trotz dieser für uns unvorstellbaren Wundversorgung und Hygiene habe ich keine infizierten Wunden gesehen; auch Tage später sahen die Wundränder der Verletzung entsprechend gut und sauber aus. Man sollte also mit einem schnellen Urteil vorsichtig sein und nicht so einfach unser Vorgehen und unsere Gewohnheiten dort als Messlatte anlegen.
Das Rahmenprogramm
Begleitend zum mehrtägigen Vegetarian Festival gibt es natürlich auch eine Broschüre, in der man sämtliche Infos zum Ablauf und Zeiten der einzelnen Events findet – sehr hilfreich und eine gute Grundlage um sich zurecht zu finden! Besonders wichtig sind auch die Karten in denen die Lage der beteiligten Tempel und die einzelnen Prozessionsrouten eingezeichnet sind. Zu den aufgeführten Terminen zählen neben dem frühmorgentlichem Stechen in den Tempeln auch andere spektakuläre Bräuche, die man nicht verpassen sollte. Das sind zum Beispiel die barfüßigen Läufe über glühende Kohlen und das „Schwertleiterklettern“, bei dem ebenfalls ohne Schuhwerk auf Leitern aus Schwertklingen bis zu 20m in die Höhe gestiegen wird. Wirklich beeindruckend und mit jeder Sprosse, die ein wagemutiger hinauf steigt ist man dankbar festen Boden unter den Füßen zu haben.
In und um die Tempel herrscht den ganzen Tag ein reges Treiben aus Kindern die mit Knallkörpern spielen, Menschentrauben, die sich angeregt unterhalten und Gläubigen, die Opfergaben bringen und beten. Es ist ein idealer Ort um neue interessante Bekanntschaften zu machen. Die Einheimischen sind sehr offen und freundlich wenn sie sehen, dass man sich für die Bräuche interessiert und darauf einlässt, wozu eben auch das Tragen von weißer Kleidung gehört. Dies symbolisiert die Reinheit, die der Körper während der Zeit des Festivals erfahren soll (kein Alkohol, kein Sex, kein Fleisch usw.). So kam es öfter vor, dass man an der Hand genommen wurde und alles erklärt bekam wofür sich manch einer auch gerne einmal eine ganze Stunde Zeit nahm und wirklich alles ausgiebig erläuterte. Da nicht jeder fließend Englisch spricht, geschah dies oft in der Landessprache, aber nach einer Weile versteht man auch Thai und wenn nichts hilft werden Händen und Füßen zum wilden gestikulieren zur Hilfe genommen.
Der Spirit
Das ganze Geschehen ist schon recht faszinierend, ob man nun an die Geister und Götter glaubt oder nicht. Einem Skeptiker würden beim kritischen Zusehen bestimmt so manche Zweifel kommen was nun Show ist und was nicht. Besonders das Ein- und Ausfahren der Geister in die Medien ist mitunter sehr spektakulär und mag inszeniert wirken. Mir ist aber manchmal ein richtiger Schauer über den Rücken gelaufen wenn die Medien im Tempel ihre Geister empfangen haben und oft noch mehr wenn diese nach der Prozession wieder im Tempel abgegeben wurden. Einige der Medien machten dabei einen zwei Meter Satz nach hinten wo sie dann wie besinnungslos in den Armen ihre Begleiter landeten. Da muss der Glaube und das Vertrauen schon tief sitzen um sich derart tief fallen und gehen zu lassen. Auf der anderen Seite hatte man bei anderen denken können in sie wäre ein „Promotiongeist“ gefahren, derart anziehend wirkten sie auf Fotos und Filmkameras durch ihr wildes posierten.
Glaube, Religion und Ritus sind aber meiner Meinung nach persönliche Werte und Erfahrungen, wer da also was sieht oder sehen möchte bleibt jedem selbst überlassen. Authentisch war auf jeden Fall die Freundlichkeit der Leute und der Stolz der Beteiligten auf das geleistete.
Authentizität ist dann auch ein gutes Stichwort für den auf einem „vegetarischem Festival“ nicht unwichtigen Punkt – dem ESSEN! So ist es angenehm, dass die ganze Sache der vegetarischen Ernährung nicht mit der leider zu oft anzutreffenden Verbissenheit in Glaubens- und noch viel mehr in Religionsfragen zum Zwang wird. Hier zeigt sich die Offenheit der Gesellschaft, obwohl es schon ein wenig witzig ist, dass es ein riesiges Spektakel und Fest gibt um eine Sache, die wenige Straßen weiter schon ihren roten Faden verliert. So gibt es während des Festivals eine ganze Straße, die gefüllt ist mit Essens-Ständen, die ausschließlich vegetarische Küche anbieten. Zudem findet man um die Tempel herum jede Menge Suppenküchen, die alle mit gelben Fahnen gekennzeichnet sind, die für das Festival stehen; doch geht man eine Straße weiter und möchte an den „normalen“ Verkaufsständen etwas vegetarisches zu essen haben, versteht keiner so recht was man meint und man kommt sich mit dem Wunsch schon fast als Exot vor, obwohl ganz Phuket Town in einem gelben Fahnenmeer versinkt. Irgendwie skurril, aber eben auch angenehm, dass es keinen Zwang oder religiöse Doktrin gibt.
So, das war mein kleiner Reisebericht und zu Abschluss bleibt mir zu sagen, dass dieses Festival auf jeden Fall eine Reise wert ist – wer also von der Vielzahl meiner hier wiedergegebenen Eindrücke motiviert ist, sollte sich unbedingt auf die Socken machen. Wichtig wäre es mir noch einmal deutlich darauf hinzuweisen, dass man gerade als Gast in einem fremden Land und Kultur unbedingt mit Respekt und Achtung in und an die Sache heran geht. Auch wenn Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor der Region ist, sollte das Vegetarian Festival kein asiatisches Disney World werden, sondern immer eine ganz besondere Reise auf der man sich sicher faszinieren, begeistern und auch unterhalten lassen sollte. Man darf aber bei all dem Spektakel nicht vergessen, dass dieses Festival für die Menschen dort ein religiöses Ritual ist an dem man lediglich teilhaben darf. Wenn man dies beachtet, hat man garantiert eine tolle Zeit mit vielen Gesprächen, netten Bekanntschaften und einer Erfahrung, die ich auf gar keinen Fall missen wollte.
„EXPAND your Piercing“ – dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit Thorsten Sekira geschrieben – seine wichtigsten Eckpunkte bildeten das Grundgerüst des Artikels, welchen ich dann mit Recherchen und Fakten entsprechend angereichert und ausformuliert habe! Der Artikel erschien im EXPAND #3 – Ende 2005!
expand your piercing
Ein Piercing zu dehnen ist eine Prozedur, die nahezu in jeder alten und neueren „Piercing Kultur“ bekannt ist. In den meisten traditionellen Kulturen ist ein gedehntes Piercing mit einer persönlichen, spirituellen oder sozialen Bedeutung belegt. Ein Piercing – egal an welcher Stelle des Körpers dehnt sich nicht signifkant von einem Tag auf den anderen. Es ist ein sichtbares Zeichen für eine abgeschlossene Prozedur über Wochen, Monate und Jahre in Disziplin und Selbstbeherrschung.
So tragen zum Beispiel Frauen auf Bali die meiste Zeit ihres Lebens ein eng zusammengerolltes Palmenblatt im Lobe-Piercing (Ohrläppchen) um das Piercingloch offen zu halten und es gleichzeitig konstant und sanft zu dehnen. Dort steht also die Schaffung des gedehnten Ohrlochs im Vordergrund und nicht so sehr das Tragen von Schmuck. Unter den Bewohnern Balis gilt ein symmetrisch weit gedehntes Ohrloch als besonderes Zeichen von Reife und Schönheit, denn eine solche Dehnung braucht halt viel Zeit und Geduld – Eigenschaften, die ihre Trägerin auszeichnen.
Typisch für unsere Zeit und unser „Piercing-Verständnis“ ist die Trennung zwischen dem eigentlichen Piercing – dem Stechen und „Ersteinsatz“ – und dem späteren Dehnen (falls überhaupt vorgenommen).
Ritus des Dehnens
Allerdings kommt man auch in der heutigen Zeit nicht um den „Ritus des Dehnens“ und die damit verbundene Körpererfahrung herum. Egal ob es nur ein kleiner Schritt zur nächsten Schmuckgröße oder ein längeres Projekt zu einem verändertem Piercing ist. Das Dehnen der Haut erfordert Sauberkeit, Wissen um die Belastbarkeit und Zeit der Erholung die der zu dehnende Teil des Körpers braucht und – das aller Wichtigste – es braucht Geduld!
Wäre es ein Leichtes und Sache von Minuten ein Piercingloch von 1.6 auf 16, 20 oder 30mm zu weiten; gedehnte Piercings und der getragene Schmuck würden Ihren besonderen Reiz des Erreichens verlieren.
Es wäre nichts Aussergewöhnliches z.B. einen Plug zu tragen. Doch es passiert nun einmal nicht über Nacht und so bleibt etwas, was man nicht nur mit viel Einsatz erreicht, sondern etwas das viel Einsatz über eine lange Zeit fordert. Das macht weit gedehnte Piercings weltweit und über Kulturen hinweg zu einem Zeichen der Reife und Weisheit, ein Weg zu sagen „ich kontrolliere meinen Körper und akzeptiere was mein Körper von mir verlangt um heil an mein Ziel zu gelangen“. Im Gegensatz zum Stechen eines Piercings und Tattoos oder dem Schneiden und Brennen einer Scarifcation ist das Dehnen ein Wechselspiel zwischen der Aktion der Modifkation und der Reaktion des Körpers die dann erst eine weitere Aktion erlaubt.
Dieser „Dialog“ mit dem eigenen Körper ist der wichtigste Faktor des Dehnens. Schmerzen sind grundsätzlich ein subjektives Empfnden und je nach Person und Piercing unterschiedlich. Ist z.B. das Lobe noch „easy going“ wird es mit längerem Stichkanal und empfndlicherer Körperregion wie z.B. dem Ampallang schon interessanter. Jeder Mensch empfndet bei jeder Modifkation seines Körpers seinen eigenen und persönlichen „Schmerzlevel“ steigt der sprunghaft an, so ist das der besagte Dialog mit dem eigenen Körper mit dem dieser uns versucht zu sagen „Okay, Stopp! Es reicht, bis hier her und nicht weiter“.
In der Regel läuft das Dehnen für den „geduldigen Dehn-Typ“ relativ schmerzfrei ab. Der geduldige Typ geht mit dem Grundsatz „sicher und langsam“ an die Sache heran und sorgt sich nicht um die Zeit, die es braucht ans Ziel zu kommen. Für ihn zählt es alleine mit optimalem Ergebnis seinen Körper zu modifzieren und keinen Gefahren wie z.B. einer Infektion auszusetzen. Klingt langweilig und fast schon konservativ, ist aber vernünftig und eigentlich immer von Erfolg gekrönt.
Wunder über Nacht
Im Gegensatz dazu geht der „ungeduldige Dehn-Typ“ vor, denn es gibt natürlich auch Wege sein Piercing schnell zu weiten, um dann dicken Schmuck, Plugs oder Tunnels zu tragen.
Durch das Punchen (Herausstanzen von Gewebe) zum Beispiel oder dem einfachen Einschneiden des Gewebes mit einem Skalpell lässt sich schnell ein „großes Piercing“ realisieren.
Dieser Weg zum dicken Schmuck ist sicher noch gangbar und führt – wenn vernünftig gemacht – auch ans Ziel. Allerdings lässt sich diese Technik nicht beliebig auf alle Bereich anwenden (z.B. Intimbereich, Brustwarze, Zunge usw.) und bietet darüber hinaus nicht immer ein so schönes optisches Ergebnis wie der lange Weg des „geduldigen Dehn-Typs“. Ergänzend sei gesagt, dass bei diesen Methoden meist ein ausgeprägteres Narbengewebe entsteht, was ein weiteres Dehnen über den erreichten Status-Quo hinaus erheblich erschwert.
Für den ungeduldigen Typ kann es aber auch sinnvoll sein – für ein späteres „geduldiges Dehnen“ – einige Piercings gleich in einer größeren Stärke zu piercen. Zum Beispiel kann der Ersteinsatz im Lobe direkt bis zu 4mm dick sein. Man sollte allerdings darauf achten während der Heilung (das gilt auch später zwischen den Dehnschritten) keinen zu schweren Schmuck zu tragen um eine zu einseitige Belastung zu vermeiden.
Damit wären beide Dehn-Typen schon fast erklärt, gäbe es da nicht noch eine Splittergruppe des „ungeduldigen Dehn-Typs“ – den „unvernünftigen Dehn-Typ“. Von seinen „Gewaltmethoden“ ist dringend abzuraten. So werden in recht blutigen Sitzungen so lange konische Materialien durch ein frisch gepierctes Loch „geprügelt“, bis man „in einem Rutsch“ von 0 auf 10mm gekommen ist. Das Trauma dem das Gewebe da ausgesetzt wird, mit seiner Vielzahl der unterschiedlichsten Verletzungen und Quetschungen, kann zu den abenteuerlichsten Entzündungen und Abwehrreaktionen des Körpers führen. Im schlimmsten Fall kommt es durch eine akute Unterversorgung zu dauerhaften Schädigungen der Haut oder des Knorpelgewebes.
Was passiert genau?
Werfen wir einen Blick auf die medizinisch, anatomische Seite des Dehnens. Was genau passiert beim Dehnen eines Piercinglochs? Nun, ja das ist so genau nicht einfach zu erklären, im groben passiert folgendes – durch das Dehnen / Spannen der Haut rund um das Piercing und im Piercing-Kanal entstehen gleichmäßig verteilte mikroskopisch kleine Risse im Kollagengefecht der Haut.
Dadurch entstehen Freiräume zwischen den Hautzellen, die mit der Zeit durch neue Zellen ausgefüllt werden.
Die Haut weitet sich und baut mehr und mehr die entstandene Spannung ab. Das Kollagen bindet die neuen Hautzellen ein und das geweitete Piercing ist erneut „geheilt“. Dieser Vorgang dauert – optimale Rahmenbedingungen vorausgesetzt – mindestens 6 Wochen.
Optimale Voraussetzungen sind in diesem Fall ausreichend Luft am Piercing (ein frisch gedehntes Piercing sollte nicht durch Schmuck „eingeschlossen“ werden), gesunde Ernährung und Hygiene – jede Verschmutzung des gereizten Piercings kann zu Problemen und Endzündungen führen.
Wird der Dehnvorgang (auch in vernünftigen Schritten) zu schnell durchgeführt, kann es zu ungleichmäßig verteilten Rissen in der Kollagenschicht oder zu Rissen unterhalb der Kollagenschicht kommen. Das kann wieder herum zu hypertropher Narbenbildung führen – was die weitere Dehnbarkeit dieser so verletzten Stelle stark beeinträchtigt. Sogar gegenteilige Entwicklungen sind möglich. Wirken zu starke Zugkräfte in der Phase des Verheilens, so werden vermehrt Bindegewebe und Blutgefäße gebildet. Es kommt zu einer überschießenden Narbenbildung, der Narbenhypertrophie. Diese Narben sind oft sehr groß und wulstartig und können somit das Piercing optisch erkennbar verziehen – das Piercing wirkt schief und ungleichmäßig.
Die Voraussetzungen
Sicher die wichtigste Voraussetzung zum Dehnen, ist ein vollständig ausgeheiltes Piercing. Das Dehnen sollte wie links beschrieben in 1 bis 2mm Schritten erfolgen, gefolgt von einer mehrwöchigen Pause; diese ist notwendig damit das Gewebe sich erholen und regenerieren kann. Diese Ruhephase ist damit die wichtigste Voraussetzung für den nächsten Dehnschritt.
Leider liegt in der Mißachtung dieser Voraussetzungen die größte „Gefahr“ des Dehnens. Gehen anfänglich die Schritte zu leicht von der Hand, wird man euphorisch oder übermütig und verlangt dem Körper zuviel ab. Disziplin und Geduld sind also ebenso Voraussetzung für ein langes und erfolgreiches Dehnen. Denn auch wenn man das Gefühl hat, es könnte noch ein wenig mehr „gehen“, ist es besser zu stoppen und die planmäßige Pause einzuhalten. Ein zu schnelles Dehnen kann zu den beschriebenen Vernarbungen und Verletzungen führen und einen um Monate zurück, oder gar ganz „aus dem Rennen“ werfen.
Jeder einzelne Dehnschritt für sich genommen sollte also nie zu groß ausfallen – je nach Gewebe (gepiercter Stelle) sind Dehnschritte von 1 bis maximal 2mm sinnvoll und gängig – in der Regel wird zur nächsten Schmuckstärke gedehnt. Die bereits erwähnten 6 Wochen Pause zwischen den Schritten sind dabei nicht übertrieben! Man muß dem Körper immer ausreichend Zeit gewähren sich zu regenerieren und den nächsten Schritt möglich zu machen.
Setzt man diese Grundregeln um, sind einem stetig wachsenden Piercing dann fast keine Grenzen mehr gesetzt.
Der sicherste Weg zum Dehnen ist im übrigen immer noch der Weg ins Piercingstudio, dort bekommt man die notwendige Hygiene geboten und meist ist das Dehnen ein kostenloser Service wenn der danach ohnehin benötigte Schmuck der nächsten Stärke direkt vor Ort gekauft wird.
Die Vorbereitung
Das Dehnen an sich lässt sich mit der richtigen Vorbereitung recht unkompliziert gestalten. Das Einweichen der Haut mit heißem Wickel oder Bad ist eine gute Vorbereitung. Das erhöht die Dehnbarkeit und fördert die Durchblutung, die Haut entspannt sich.
Für Intim oder Brustwarzen-Piercing empfehlt sich ein Bad zu nehmen, Piercings im Gesicht können mit einem getränkten Handtuch eingeweicht und dabei auch massiert werden. Mindestens 2 bis 4 Minuten sollte man sich dafür Zeit nehmen – je länger, desto besser!
Anschließend oder schon während des Einweichens und sanften Massierens, sollte man sein Piercing kontrollieren. Gibt es evtl. noch kleine Risse oder Verletzungen, dünne oder gespannte Stellen? Ist die Haut gerötet oder spürt man beim Berühren einen Druckschmerz? Wenn all das nicht der Fall ist, kann man mit dem eigentlichen Dehnen beginnen – ansonsten tut man gut daran hier abzubrechen und seinem Körper noch ein wenig Zeit zu geben.
Das Dehnen
Um seine Dehnhilfe besser durch den Piercingkanal zu bekommen, sollte man Gleitgel verwendet.
Dieses sollte jedoch vorher auf Verträglichkeit geprüft werden und möglichst auf Wasserbasis sein und steril in kleinen „Portions-Einwegverpackungen“ abgepackt sein. Denn Hygiene ist beim Dehnen sehr wichtig.
Das gedehnte Piercing sollte wie ein frisch gestochenes Piercing behandelt werden. Auch während des Dehnens ist darauf zu achten möglichst jeden unnötigen Kontakt der Hände mit dem Stichkanal zu vermeiden.
Geht man zum Dehnen ins Studio, wird der Piercer ohnehin Handschuhe tragen und die Dehnhilfe ist steril.
Das Gleitmittel sollte vor dem Dehnen schon auf und in den Stichkanal aufgetragen werden, dann wird die Dehnhilfe unter behutsamen, leichten Druck mit regelmäßigen Pausen eingeführt. Wird ein Taper verwendet, so ist es hilfreich diesen langsam mit Gegendruck zu drehen. Es gilt dabei immer darauf zu achten, dass genug Gleitmittel vorhanden ist um ein unangenehmes Anhaften zu vermeiden. Geht es nicht mehr weiter, kann es hilfreich sein die Seite zu wechseln und die Dehnhilfe am anderen Ende des Stichkanals einzuführen. Je länger der Stichkanal ist, desto sinnvoller ist diese Methode um ein gleichmäßiges Dehnen und bessere Beweglichkeit der Dehnhilfe zu gewährleisten. Man arbeitet sich so von außen nach innen vor.
Nicht ungeduldig werden, das einzige Limit ist in der Regel das Austrocknen des Gleitmittels; es kann passieren das dieses beginnt zu kleben, in der Regel hält es aber lange genug um den Dehnvorgang abzuschließen.
Ist es geschafft, Führt man mit dem Ende der Dehnhilfe den neuen Schmuck in den Kanal ein. Leider bietet nicht jede Dehnhilfe oder Schmuck diese Möglichkeit des nahtlosen Einführens. Es sollte auf jeden Fall darauf geachtet werden kein scharfes Gewinde durch den frisch gedehnten und sicher noch gereizten Kanal zu führen. Absolut top sind hier Schmuckstücke mit Innengewinde (internally threaded).
Das Reinigen
Eventuelle Rückstände des Gleitmittels rund um das Piercing sind mit einem sauberem Tuch schnell beseitigt, ggf. vorsichtig die umliegenden Bereiche waschen. Die Reinigung des gedehnten Piercings sollte allerdings mit einem wässrigen Antiseptikum wie z.B. Octenisept vorgenommen werden. Das kühlt die gereizte Stelle ein wenig ab und desinfziert diese gleichzeitig.
Welcher Schmuck
Welcher Schmuck ist für das Tragen direkt nach dem Dehnen geeignet?
Grundsätzlich gilt das gleich wie für den Ersteinsatz beim Piercing. Der Schmuck sollte also mit Bedacht gewählt werden. Plugs und Tunnels verschließen oft den Stichkanal – allerdings braucht die gereizte Haut jetzt Luft um zu heilen. Solide Ringe sind ebenfalls nicht immer optimal, da sie durch ihr Gewicht evtl. vorhandene Verletzungen oder Reizungen im Stichkanal weiter fördern bis Risse entstehen. Das Gewicht lastet naturgemäß nicht gleichmäßig verteilt auf den Stichkanal sondern konzentriert sich auf eine Stelle. Von schwerem Schmuck ist also abzuraten. Abhilfe schaffen hier hohle oder – leichter als Stahl – Titanringe. Sehr gut geeignet sind ebenfalls Eyelets oder Tunnel mit niedrigem Rand und auf jeden Fall ohne O-Ringe (Haltegummies) – z.B. „Double Flared Eyelets“ (DFE).
Bezüglich des Materials ist zu sagen, dass man seine Erfahrungswerte aus dem Ersteinsatz seiner Piercings einfießen lassen sollte, hat man gute Erfahrungen mit Titan oder auch Chirurgenstahl gemacht, empfehlt es sich dabei zu bleiben. Kunststoffe sind eher weniger geeignet. Praktisch sind z.B. auch kleine Crescents (SRE, ERE), diese sind in der Regel nicht zu schwer und können direkt nach dem Dehnen als „Ersteinsatz“ getragen werden.
Teilweise gut geeignet sind ebenfalls organische Materialien (z.B. Holz) allerdings nicht alle Arten und nicht jede Verarbeitung. Besitzt man keine Erfahrung im Umgang mit organischem Material als Piercing-Schmuck, möchte aber trotzdem etwas mehr natürliches als Stahl oder Kunststoff tragen, sollte man sich mit diesem Wunsch vertrauensvoll an seinen Piercer wenden. Mit der Richtigen Pfege und Behandlung lassen sich sehr gute Ergebnisse erzielen und man kann die natürlichen Wirkstoffe der organischen Materialien für sich arbeiten lassen.
Regenerierung
Ist das gedehnte Piercing ein paar Tage alt und macht keine Probleme, kannst Du damit beginnen, die Haut bei der Regenerierung zu unterstützen. Es gibt die verschiedensten Tips und Tricks für die jeweils vermeindlich beste Pfege, tatsächlich aber eine allgemeingültige Empfehlung abzugeben, ist schwer. Mancher mischt sich sein „geheimes Öl“ für die Pfege zusammen, andere schwören auf Kokosnuss-, Jojoba- oder Raps-Öl. Um Narbenbildung zu mindern, kommen ebenfalls die unterschiedlichsten Mixturen zum Einsatz. Egal ob Teebaumöl unverdünnt oder gelöst in heißem Wasser, verschiedene Salben und Tinkturen aus der Apotheke, jeder Tip beansprucht für sich die beste Wirkung. Daher haben wir lange darüber beraten was wir an dieser Stelle dem Leser als „heißen Tip“ mit auf den Weg geben und wir sind auf folgenden gemeinsamen Nenner gekommen:
ES GEHT AUCH OHNE!
Mit anständiger Pfege, leichten Massagen um die Durchblutung anzuregen und gesunder Ernährung, haben wir im Selbstversuch keine nachteiligen Wirkungen feststellen können.
In der Regel war nach 6 Wochen die neue Schmuckgröße entspannt tragbar und nach 8 bis 10 Wochen war dann die nächste Dehn-Session möglich. Um die Langeweile in der Wartezeit zu vertreiben, läßt sich super ein paralleles „Dehn-Projekt“ anfangen – aber Vorsicht! SUCHTGEFAHR!
Verletzungen
Scheiße passiert, daher kurz zum „Worst-Case“:
Was tun wenn der Stichkanal verletzt ist, es blutet oder schmerzt?
In dem Moment, in dem der Stichkanal verletzt ist, sollte man das Dehnen „vergessen“ und sich primär um die Wundversorgung kümmern.
Sofort wieder zur „gewohnten“ kleineren Schmuckgröße wechseln, die Wunde reinigen / desinfzieren mit einem Antiseptikum. Halten die Schmerzen ungewöhnlich lange an oder blutet es stark, unverzüglich einen Arzt aufsuchen! Ansonsten gilt es das verletzte Piercing wie ein frisch gestochenes zu behandeln – Du solltest entsprechende Erfahrungen mit der Pfege des Piercing ja bereits gesammelt haben.
Diesen Artikel habe ich zusammen mit Magda (Wildcat Store MG) geschrieben:
Wir wollen in dieser Ausgabe des “expanded Piercing-ABCs” einmal das Unmögliche versuchen und alle gängigen Piercingarten des Ohrs in einem Artikel behandeln. Obwohl oder gerade weil das Ohr ein so kleiner Teil unseres Körpers ist, weist es die vermutlich höchste “Piercingdichte” auf. Das Ohr selbst bietet aber auch durch seine unterschiedlichen Gewebearten und variantenreichen Formen einen idealen Platz für kreative Piercing- und Schmuckideen. Das Ohrpiercing Nummer Eins ist wohl das Lobe (Ohrläppchen). In den 80ern galt es noch als “Punk” und Rebellion, obwohl es in den 50ern bereits der erste echte „Piercingtrend“ unserer Zeit gewesen war. Dieser erste Trend – und an der Stelle sollte man sich hinsetzen und dann weiter lesen – wurde ausgelöst durch Queen Mum, Königin Elisabeth II., die zu ihrer Krönung die volle Ausstattung der Kronjuwelen tragen wollte und sich dafür die Ohrläppchen durchstechen ließ. Sowohl das Königspaar als auch die Hochzeit waren damals große Ereignisse und der Ohrschmuck in aller Munde (Bilder Seite 13 links) – auf der ganzen Welt fanden sich Frauen zu „Piercingpartys“ zusammen (Bild ganz rechts) um auch den letzten Schrei in Sachen Mode – den Ohrring – mitzumachen.
Es finden sich zahlreiche Belege für den Ohrschmuck – besonders dem Lobepiercing (Ohrläppchen). So findet man quer durch die Jahrhunderte geschmückte Ohren an Portraits meist adliger, aber auch bürgerlicher Frauen – eher selten auch an Männern: in Europa meist im 17. und 18. Jahrhundert, danach war es eher unüblich, bzw. selten oder „exotisch“.
So waren es oft Darstellungen von Seefahrern oder Zeichnungen von Naturvölkern aus Afrika, Asien und Amerika, die Männer mit Ohrringen zeigten. Seefahrer, so wird überliefert, trugen goldene Ohrringe, die im Wert etwa dem eines christlichen Begräbnisses entsprachen.
Sie sollten, falls der Seemann nach einem Unglück tot an Land getrieben und von Christen gefunden würde, sein Begräbnis fnanzieren. Eine solche „Funktion“ des Ohrschmucks war nicht neu, im Mittelalter war es zum Beispiel bei einigen Zünften üblich, die Zugehörigkeit durch einen Ohrring auszudrücken. Auch der war meist aus Gold und diente dem Bestatter als Entlohnung im Todesfall.
Es diente aber auch als Erkennungsmerkmal, so wurde er z.B. bei Verstößen gegen die Zunftordnung (also Unzünftigkeit) ausgerissen, was wohl den Begriff „Schlitzohr“ für ein Schandmal prägte.
Wann genau und von welcher Kultur das erste Mal ein Ohrloch gestochen wurde, ist nicht auszumachen, allerdings weiß man, dass schon die frühesten Kulturen wie die Sumerische oder die Babylonier ihr Ohrläppchen schmückten. Interessant ist auch, dass auf jedem Kontinent unabhängig von der Kultur Zeugnisse von Ohrpiercings zu fnden sind, der Ohrschmuck sich also unabhängig voneinander entwickelte oder seinen Ursprung weit vor jeder Geschichtsschreibung hat und einfach „schon immer“ da war.
In traditionellen Kulturen wurden Piercings im Ohr oft in religiöse Zeremonien wie z.B. Geburt, Pubertät oder die Heirat eingebunden. In einigen Bereichen des Hinduismus wird dem Neugeborenen zwölf Tage nach der Geburt bei der Zeremonie der Namensgebung ein kleiner Stecker oder Ring in die Ohrläppchen und Nase eingesetzt. Bei männlichen Babys wurde “weiblicher” Schmuck eingesetzt um die „bösen Geister” zu irritieren und von dem Kind fernzuhalten.
Die bisher ältesten Ohrringe wurden in der Stadt Chifeng in der Inneren Mongolei ausgegraben und auf ein Alter von 7.500 bis 8.200 Jahre datiert. Die Ohrringe, von denen mehrere Paare gefunden wurden, sind aus Jade und 2,5 bis 6 cm groß.
In der Literatur stößt man immer wieder auf den „Ohrring“ – schon in der Bibel ist die Rede davon. Allerdings gibt es die unterschiedlichsten Interpretationen und Übersetzungen, so ist von Ohr- und Kopfspangen die Rede, mal auch von Ohrringen. In evangelischen Gebieten Deutschlands galt der Ohrring lange als „katholisch“ verpönt, andere Christen lehnen ihn ganz ab, da man wie auch beim Tattoo dem Körper Schaden zufügt – wieder andere schmücken sich aus religiösen Gründen mit Tattoos und Ohrringen. Lassen wir also die Bibel mal außen vor!
Ein sehr interessantes Buch ist das Lese- und Lehrbuch „Bilderfbel zur Beförderung der Laut-Methode“ von Johann Ferdinand Schlez aus dem Jahre 1809/1810, das in einem Kupferstich (Bild oben) den Piercingvorgang an sich zeigt, wie er zu der Zeit wohl üblich war. Der Kupferstich ist von Johann Conrad Susemihl.
In der Beschreibung zu dem Bild heißt es: „Ein eitles Mädchen läßt sich Ohrenlöchelchen stechen. Die alte Frau da, mit der Brille sagt ihr zwar: Wozu sollen die Löcher in den Ohren? Hättest du sie mit zur Welt gebracht: so würd‘ es Jedermann für einen Fehler gehalten haben. Die frisch gestochenen Löchelchen werden dir weh thun [Anm.d.Red.: thun = tun – alte Schreibweise] bis sie ausgeheilt sind und die Ringelchen darin können sogar gefährlich werden. Wenn du kleine Kinder wartest [Anm.d.Red.: warten = hüten oder auch babysitten] und es greift eines hinein; so schlitzt es dir die Ohren aus. Überdies merke! Wer keine Ohrenlöchelchen hat, braucht auch keine Ohrenringe und erspart sein Geld…
Das hilft aber nichts! Das Mädchen, sonst bei jedem Nadelstich empfndlich, will aus Eitelkeit den zehnmal größern Schmerz gern dulden. – Je nun, sagt die alte Frau, wenn du willst, so bin ich bereit; aber kreische mir nicht, wenn ich steche; denn es thut weh! – Nein, das will ich auch nicht! sagt das Mädchen.
Frisch legt es das Ohr auf das untergehaltene Stückchen Rübe. Die Frau hat den Pfriemen in der Hand und sticht.
[Anm.d.Red.: Ein Pfriem ist ein langes, konisches, rundes Stück Eisen, oft am Klappmesser befestigt; auch bekannt als: Ahle oder Marlspieker] Das Kind hält Wort. Es kreischt nicht; aber es quickt doch beim Stiche i! i!
– Wie sieht der Buchstab aus, der i lautet? Sucht ihn auch im Buche auf!
– Lernt an dem Mädchen, wie man den Schmerz überwinden kann.“
Man sieht, schon damals wurde dem Piercingwilligen ins Gewissen geredet und erst nach einer Aufklärung über die Risiken eine klare Einverständniserklärung abverlangt – grob gesagt, hat sich in den letzten 200 Jahren nicht viel getan – außer natürlich im medizinischen Bereich des sterilen Arbeitens und der Nachsorge sowie eine Optimierung der Arbeitswerkzeuge und des eingesetzten Schmucks.
Es sind aber nicht nur Lobepiercings historisch belegt. Man fndet in verschiedenen frühen Kulturen durchaus auch andere Piercings, darunter auch einige Ohrknorpelpiercings. So fndet sich das Helixpiercing (äußerer Knorpelrand) schon sehr früh auf beinahe jedem Kontinent. Die Dayak aus Borneo trugen damals wie heute Eckzähne von Bären im oberen Bereich des Ohres. Die Mütter von Kriegern der Lmasala (ein Klan der Samburu – Kenia) tragen die Beschneidungs-Ohrringe ihrer Söhne im Helix während diese auf der Jagd sind oder in den Kampf ziehen. Auch andere Knorpelpiercings wie z.B. das Conch (Ohrmuschel) fndet man bei den Mangebetu im nördlichen Zaire (Demokratische Republik Kongo). Übrigens kann man „Conch“ mit einem weichen „ch“ am Ende (wie „Elch“) oder hart mit einem „k“ (also „konk“) aussprechen.
[Anm.d.Red.: die legendäre französisch anmutende Aussprache des Labretpiercings als „Labree“ ist defnitiv falsch. Es stammt aus dem Lateinischen und wird gesprochen wie man es schreibt – mit hartem „t“ (deutsch oft „tt“ – wie „Bett“) – Labret!] Aber nicht alle Ohrknorpelpiercings haben einen kulturellen Ursprung. Die meisten sind eine „Erfindung“ der Neuzeit.
Ein Pionier auf diesem Gebiet ist Erik Dakota, der als erster zahlreiche Piercings dokumentierte und ihnen teils auch die Namen gab (Bild unten).
Piercings wie das Daith, Ear-Orbital, Rookpiercing und Industrial Ohr-Projekte. Erstmalig wurden diese Piercings im November 1992 auf dem Lehrgang „Fakir School of Professional Body Piercing“ vorgestellt und dann im Body Play Vol.1, No. 4 einem (für die damaligen Verhältnisse) breiten Publikum vorgestellt. Ähnlich verhält es sich mit anderen „neuen Piercings“, die bis vor 10 Jahren meist zuerst im PFIQ (Piercing Fan International Quarterly, 1977-1998) Magazin erwähnt und mit einem Namen bedacht wurden. Heute hat diese Rolle größtenteils wohl BME (Webseite) oder die großen „Conferences“ (Lehrgänge wie z.B. APP Conference in Las Vegas) übernommen.
„Das Ohr“ ist [Anm.d.Red.: „Das Ohr“ hier in Anführungszeichen, da das Ohr umgangssprachlich oft nur das Außenohr (Auris externa) bezeichnet, tatsächlich aber das Mittel- und Innenohr einschließt], wie wir ja alle sicher schon beobachten konnten, bei jedem Menschen anders geformt. Ausschlaggebend, ob wir große, kleine, anliegende oder abstehende Ohren haben, ist die Form unseres Knorpelgewebes. Funktional ist das Außenohr, besonders die Ohrmuschel eine Art richtungsselektiver Hörflter.
Die zahlreichen Erhebungen und Vertiefungen der Ohrmuschel bilden jeweils akustische Resonatoren, die bei Schalleinfall aus einer bestimmten Richtung angeregt werden. Hierdurch entstehen richtungsabhängige Minima und Maxima im Frequenzspektrum durch deren Auswertung das Gehör unterscheiden kann, ob Schall von vorne, hinten, oben oder unten kommt. Dessen sollte man sich bewusst sein bevor man sich dort piercen lässt. Die Entnahme von Knorpelgewebe (Punch) und besonders der getragene Schmuck können das Hören beeinfussen – meist zum negativen, die Natur an sich ist ja schon relativ „perfekt“ und nur schwer zu verbessern; obwohl es dazu noch keine wissenschaftlichen Untersuchungen gibt.
Der untere „feischige“ Teil des Ohrs wird als Ohrläppchen (Lobe; lat. Lobulus auriculae) bezeichnet und hat ebenfalls eine akustische Funktion, nämlich die eines Resonanzkörpers.
Es kann frei hängend oder angewachsen sein. Die angewachsenen dürften seltener sein, da sie als genetisch rezessiv gelten – das genetisch dominante, freie Ohrläppchen setzt sich also in der Vererbung durch. Das Ohrläppchen ist in den meisten Fällen relativ schmerzunempfndlich. Im Gegensatz zum Ohrknorpelgewebe ist das Ohrläppchen gut durchblutet, was auch einer der Gründe für die vergleichsweise schnellere Abheilung der Piercings dort ist. Das gesamte Ohr kann also als Sinnesorgan gesehen werden. Neben dem Hörsinn dient es aber auch dem Tastsinn, nämlich als „erogene Zone“. Freilich ist das von Mensch zu Mensch unterschiedlich, eine besondere Empfndsamkeit des Ohrs lässt sich aber nicht von der Hand weisen und auch hier können Piercings zu veränderter Wahrnehmung führen!
Die Form der Ohrmuschel wird durch den Ohrknorpel (Cartilago auriculae) geprägt, der aus einem Stück besteht. Er besteht aus elastischem Knorpelgewebe, welches einen hohen Anteil an Kollagenen (miteinander verfochtenen Faserbündeln) hat, die ihn stabil und gleichzeitig durch gelbliche, elastische Fasern fexibel machen. Knorpelgewebe hat keine eigene Blutversorgung, da es beim erwachsenen Menschen frei von Gefäßen und Nerven ist. Daher muss die Ernährung der Zellen über eine Diffusion erfolgen. Dafür zuständig ist beim elastischen Knorpel die Knorpelhaut (Perichondrium): eine straffe Schicht aus spezialisiertem Bindegewebe, die wiederum durch die ihr angrenzenden Blutgefäße die Knorpelzellen versorgt.
Die sensible Innervation (Innervation = Versorgung von Organen oder Körperteilen mit Nervenfasern) erfolgt durch verschiedene Nerven vor und hinter dem Ohr.
Das Ohr an sich ist also sehr empfndlich, trotzdem verlaufen keine großen Nerven durch oder nahe am Ohr. Die Horrorstory, man könne z.B. durch ein Traguspiercing einen großen Nerv oder eine große Arterie verletzen, ist falsch. Man müsste den Tragus schon extrem unsachgemäß piercen um in die Tiefe und Lage der größeren Nerven oder Blutgefäße zu kommen. Das Gleiche gilt für den getragenen Schmuck, der müsste schon sehr unglücklich gewählt sein und schlecht sitzen, damit er Druck auf diese Gefäße ausüben kann. Anders sieht das beim Schlafen aus – man sollte es möglichst vermeiden länger auf „hartem“ Schmuck zu schlafen, der Druck auf den Bereich hinter oder vor dem Ohr ausübt.
Das Ohr ist eine der wenigen Körperstellen, die nahezu fettfrei ist; es besitzt allerdings Muskeln. Diese „Stellmuskeln“, die bei vielen Tieren die Ohrmuschel in der Richtung verstellen können, sind beim Menschen allerdings weitgehend zurückgebildet. Sie befnden sich an der Rückseite des Ohrs und am Rand. Diese können natürlich bei verschiedenen Piercings „getroffen“ werden, was die Abheilung verzögert, aber in der Regel unkritisch ist, da die „aktivierbaren Muskeln“, die die Ohrmuschel nach hinten und oben bewegen nicht an typischen Piercingstellen, sitzen.
Nichtsdestotrotz, kann durch das Piercen die muskuläre Beweglichkeit der Ohren eingeschränkt werden!
Die arterielle Blutversorgung des Ohres erfolgt aus Ästen der hinteren Ohrschlagader (Arteriae auricularis posterior) und der oberfächlichen Schläfenarterie (Arteria temporalis superfcialis), die untereinander eine Vielzahl von Queerverbindungen aufzeigen. (Diese Art der Queerverbindungen werden Anastomosen genannt – das sind Verbindungen zwischen zwei Blutgefäßen, die bei Ausfall eines Gefäßes für einen Umgehungskreislauf sorgen, sodass es nicht zur Nekrose des versorgten Gewebes kommt.) Verletzungen oder Unterbrechungen (z.B. durch Punches) der Blutgefäße werden am Ohr also größtenteils „verziehen“ und haben keine schwerwiegenden Folgen. Das gesamte Außenohr ist also über zahlreiche Gefäße mit Blut versorgt, somit gehen Ohrpiercings in den seltensten Fällen unblutig aus.
Bei der Abheilung unterscheidet sich das Lobepiercing (Ohrläppchen) stark von allen Knorpelpiercings. Die gute Durchblutung des Ohres lässt die Bereiche ohne Knorpel schnell und meist problemlos verheilen.
In den Bereichen, wo ein Knorpel durchstochen wurde, ist genau das Gegenteil der Fall. Diese Piercings brauchen ungleich länger und machen öfter Probleme. Die Abheilzeit von Knorpelpiercings hängt von verschiedenen Variablen ab. Eine der wichtigsten ist die individuelle Wundheilung, dazu kommt die Art und Struktur des Gewebes, also die Knorpeldichte. So gibt es Menschen, die einen sehr weichen Knorpel haben, was die Abheilung sehr begünstigt.
Andere wiederum haben eine hohe Knorpeldichte, was sich negativ bzw. verlangsamend auf die Abheilung auswirken kann, da der vom Knorpel ausgeübte Druck die Abheilung verringert. Aus diesem Grund ist die Angabe der Heilphase mit drei bis sechs Monaten sehr „schwammig“, weil man es nicht so zuverlässig vorhersagen kann wie bei anderen Piercings.
Auch das Schlafverhalten hat einen großen Einfuss auf die Abheilung. So lässt sich beobachten, dass Personen die das Piercing an dem Ohr haben auf dem sie meistens schlafen, länger für die Heilung benötigen als Leute die ihre “Nichtschlafseite” wählen oder darauf acht geben das Piercing über die Nacht nicht zu belasten. Die auftretenden Probleme sind dabei vor allem eine langsamer abklingende Schwellung und eine länger anhaltende Rötung der betroffenen Stelle. Ebenfalls häufger als bei anderen Piercings treten am Ohrknorpel Wildfeischwucherungen auf, da das Gewebe sehr empfndlich auf Hängenbleiben oder mechanische Belastung reagiert. Dies führt zu kleinen Rissen oder Verletzungen am Stichkanal in Folge derer der Körper angeregt wird Narbengewebe zu bilden. Diese Belastung des Stichkanals wird nach Abschwellen des frischen Piercings durch den überstehenden, längeren Schmuck des Ersteinsatzes begünstigt. Es ist also empfehlenswert den langen Ersteinsatzschmuck direkt nach dem Abklingen der Schwellung durch seinen Piercer anpassen zu lassen.
Eine andere Risikoquelle sind „Fremdkörper“. Man sollte darauf achten, dass das frische Piercing nicht mit den Haaren, dem Telefon oder Kopfhörern in Kontakt kommt. Darüber hinaus ist Hygiene wichtig: bevor man das Piercing anfasst, sollte man sich immer die Hände waschen – ein „Kontrollgriff“, ob noch alles sitzt, ist kontraproduktiv. Zur Kontrolle ist es besser auf den nächsten Spiegel zu warten und nur einen Blick zu „riskieren“. Was für einen selbst gilt, gilt natürlich für andere Personen um so mehr – das Ohr liegt ja recht offen und exponiert, das kann andere Leute oder Kinder schnell dazu verführen diesen für sie „seltsam platzierten“ Schmuck anzufassen und mit den Händen zu „bestaunen“ – da hilft dann nur Vorsicht und Voraussicht – Kinder nicht auf den Arm nehmen und Erwachsene vorab informieren: „bitte nur gucken, nicht anfassen“!
Grundsätzlich empfehlt sich als Ersteinsatz ein möglichst gerades Schmuckstück (Barbell oder Labretstecker bzw. Micro-Banane, wenn es die Anatomie so vorgibt), da ein Ring die Abheilung zweifach ungünstig beeinfusst – einmal durch die größere Belastung wegen des gebogenen Schmucks im meist geraden Stichkanal und dann natürlich durch die Gefahr des Hängenbleibens und die Bewegung durch das Baumeln, Wackeln oder Mitschwingen des Rings.
Da es verschiedene Möglichkeiten und Methoden gibt zu seinem Ohrpiercing zu kommen, stellt sich die Frage nach der optimalen Lösung.
Grundsätzlich gibt es nie einen einzigen, richtigen Weg, aber es gibt schon Vor- und Nachteile der einzelnen Methoden und die wollen wir hier einmal beschreiben:
In den sechziger Jahren wurde die Ohrlochpistole erfunden, die machte das Schießen von Ohrlöchern leichter und sorgte damals für eine weite Verbreitung dieses Schmucks. Dabei wurde eine Vorrichtung mit einem Ohrstecker „geladen“ und mittels einer gespannten Feder durch das Ohrläppchen getrieben. Das Prinzip wurde von Markierungsgeräten der Viehzucht übernommen.
Was früher Gang und Gebe war, nämlich sich sein „Ohrloch“ beim Juwelier schießen zu lassen, ist heute verpönt, da die ausführenden Betriebe keine nötige Fachkenntnis in Sachen Piercings besitzen und so mit Komplikationen oft überfordert sind. Darüber hinaus verlockt die „einfache Handhabung“ immer wieder dazu, das Gerät auch für Knorpelpiercings einzusetzen.
Zudem wird, verglichen mit einer Piercingnadel, mit einem recht stumpfen Gegenstand (Schmuck; Ohrstecker) ein Loch in das Gewebe geschossen, was unsaubere „ausgefranste” Wundränder zur Folge hat und beim Einsatz am Ohrknorpel zu Knorpelschäden und Hämatomen führen kann. Bleibt ein Othämatom (Schwellung der Ohrmuschel) unbehandelt, so entwickelt sich eine dauerhafte Entstellung des Ohres, was der Fachmann als „Ringerohr“ (auch „Boxerohr“ oder „Blumenkohlohr“) bezeichnet.
Ein weiterer und vielleicht wichtigerer Grund, der gegen das Schießen von Ohrlöchern spricht, ist die Tatsache, dass die dafür verwendeten Geräte hygienisch in der Regel nicht vertretbar sind, da diese nicht vollständig sterilisiert werden können. Auch wenn die Pistolen die Haut nicht direkt berühren, ist durch die Keimaufwirbelung beim „Aufschlag“ des Schießens eine Kreuzkontamination mit verschiedenen Krankheiten nicht auszuschließen. Es gibt inzwischen Weiterentwicklungen der Ohrlochpistole mit Einwegeinsätzen und „Handbetrieb“ ohne Feder. Wenn solche Geräte korrekt benutzt und aufbereitet werden, sind sie unbedenklich, allerdings bietet kaum ein Juwelier oder Schmuckgeschäft die entsprechenden Rahmenbedingungen für ein fachgerecht ausgeführtes Piercing. Ein weiterer Nachteil ist, dass der „geschossene“ Schmuck meist keinen optimalen Ersteinsatz darstellt.
Das Stechen mit der Braunüle (Venenverweilkanüle; Hohlnadel mit Plastik- oder Tefonüberzug) oder der Needle Blade (Piercing-„Nadelklinge“, die mit dem Schmuck durchgeschoben wird) sind mittlerweile die gängigsten Methoden um ein Ohrpiercing zu bekommen. Aufgrund des scharfen Schliffs entsteht ein sehr sauberer Wundrand, was die Abheilung im Vergleich zum Schießen stark begünstigt. Diese Methode ist entgegen der weit verbreiteten Meinung weniger schmerzhaft als das Schießen und geht, was den Stich betrifft, genauso schnell.
Durch den Facettenschliff der verwendeten Nadeln wird das durchstochene Gewebe geschnitten und zum größten Teil verdrängt, das umliegende Gewebe drückt also auf den Stichkanal, was im Falle eines durchstochenen Knorpels unangenehm ist und die Heilung verzögert. Der angrenzende Knorpel verdichtet sich und im Stichkanal bildet sich Narbengewebe.
Vom hygienischen Standpunkt ist das Stechen zu empfehlen. Nadeln sind Einwegprodukte und werden nicht wieder verwendet. Zum einen eben, weil die Aufbereitung teurer ist als eine Neuanschaffung, zum anderen verliert eine Nadel durch ihren sehr feinen Schliff schon nach dem ersten Gebrauch an Schärfe und kann sich geringfügig verformen. Ein mehrfacher Gebrauch selbst am gleichen Körper ist nicht ratsam!
Die Bezeichnung „Punchen“ kommt vom englischen „Dermal Punch“ (Hautstanze). Das beschreibt eigentlich auch schon die Methode – es wird mittels einer Hohlnadel Gewebe herausgestanzt. Die verwendeten Nadeln sind Einweg-Biopsienadeln, welche im Gegensatz zur Braunüle nicht spitz, sondern rund, fach und sehr, sehr scharf sind, was den Schmerzfaktor reduziert. Die Punches sind in der Regel bis 8 mm verfügbar.
Der Punch wird besonders bei Knorpelpiercings eingesetzt. Obwohl die Methode meist blutiger ist als die des Stechens, ist die Abheilung durch den geringeren Gewebedruck auf den Stichkanal angenehmer und braucht in der Regel nur ca. die Hälfte der Heilzeit. Empfehlenswert ist diese Methode auch bei Kunden, die sehr häufg Probleme mit Wildfeischwucherungen haben, da sich auch diese so minimieren lässt. Durch die auftretende Blutung bildet sich um das Ein- und Ausstichloch eine Blutkruste die in der Regel in den ersten drei bis fünf Tagen von alleine abfällt.
Solange diese Kruste vorhanden ist, sollte man auf anstrengenden Sport verzichten und nicht knibbeln um Nachblutungen zu verhindern. Ansonsten ist die Pfege wie bei einem normal gestochenen Piercing. Das Punchen ist entgegen vieler Befürchtungen oft weniger schmerzhaft als man denkt und der Abheilprozess ist angenehm und meist komplikationsfrei. Gerade bei anspruchsvolleren Knorpelpiercings wie z.B. dem Industrial, dichten Knorpeln wie der inneren Ohrmuschel oder größeren Schmuckgrößen ist die Punchtechnik eine gute Wahl.
In der Akupunktur spielt das Ohr eine wichtige Rolle. Basierend auf der Theorie, dass der gesamte Körper in der Ohrmuschel repräsentiert ist, sind auf der Ohrmuschel über 200 Akupunkturpunkte beschrieben von denen 50 häufg benutzt werden. Die Projektion des Körpers auf die Ohrmuschel entspricht dabei der Form eines Fötus, der sich mit dem Kopf nach unten in Embryonalstellung befndet. Das Ohrläppchen entspricht also dem Kopf, der Antihelix der Wirbelsäule und in der inneren Ohrmuschel sind die Organe abgebildet. Beine und Arme befnden sich dann zwischen Helix und Antihelix (siehe Bild unten).
Durchstöbert man das Netz nach Informationen zu Ohrpiercings und Akupunktur fndet man ein heilloses Durcheinander von sich widersprechenden Aussagen. Klar mischen da auch solche mit, die die Wirkung von Akupunktur generell in Frage stellen.
Ein sich abzeichnender Konsens der „ordentlichen“ Quellen sieht wohl so aus, dass durch Piercing Akupunkturpunkte verdrängt/verschoben werden und der Piercingschmuck und Stichreiz keine Auswirkung auf die korrespondierende Körperstelle hat. Durch Punchen werden Akupunkturpunkte entfernt und sind damit „verloren“.
Selbst nach dem Entfernen des Schmucks können die verbleibenden Narben „Störfelder“ für die Akupunktur darstellen und auch weitere, umliegende Akupunkturpunkte beeinfussen. Soweit die „seriösen“ bzw. ernst zu nehmenden Quellen bzgl. Akupunktur. Da einem Akupunkteur ein ungepierctes Ohr lieber ist, sind die Angaben mit Vorsicht zu genießen – tatsächliche Studien dazu gibt es unseres Wissens nicht!
Die medizinische Literatur zum Thema ist auch eher spärlich und da wir in Sachen Akupunktur keine Interpretation oder Erklärung vornehmen können und wollen, haben wir die wichtigsten Stellen einmal heraus gesucht und wollen diese hier unkommentiert zitieren:
Aus dem Lehrbuch von Markus Bäcker, Jürgen Bachmann, Michael Hammes: „Akupunktur in der Schmerztherapie“. Elsevier, Urban & Fischer:
„Ohrschmuck oder Verletzungen an der Ohrmuschel (Piercing) können über verletzte Ohrakupunkturpunkte Dauerreize, z.B. Kopfschmerzen, verursachen“.
Aus dem Lehrbuch von Manfred Angermaier: „Leitfaden Ohrakupunktur“. Elsevier, Urban & Fischer:
„Ohrringe/Piercing: können als Störfaktoren wirken; in jedem Fall sind zumindest die Ohrringe (Piercing in der Regel nur mit Zange lösbar) vor der Behandlung zu entfernen […] 5.9.3. Ohrringe […] Akute Wirkung:
Geht der Ohrring durch einen pathologischen, irritierenden Ohrpunkt, dann tritt kurzzeitig ein therapeutischer Effekt ein. Dieser Effekt wird jedoch durch das Durchstechen der Ohrvorder- und -rückseite abgeschwächt, da dadurch ein energetischer Kurzschluss auftritt.
Werden nicht pathologische Punkte gestochen erfolgt keine Reaktion.
Langzeitwirkung: Nach wenigen Wochen lässt die Wirkung durch einen Dauerreiz wie einen Ohrring nach (vgl. Dauernadel). Der Körper adaptiert nämlich an den Reiz, vergleichbar der Adaption an Gerüche, die innerhalb von Minuten stattfndet.
Durch das Stechen eines Ohrloches zum Anbringen eines Ohrrings entstehen in der Regel keine Krankheitssymptome. Wächst das Ohrloch nach Entfernung des Ohrrings nicht mehr zu, ist der Punkt für die Ohrakupunktur verloren.
Je mehr Ohrringe gesetzt wurden, desto eingeschränkter wird die Therapiemöglichkeit.
5.9.4 Piercing […] Der Piercingring verursacht aufgrund seines meist größeren Durchmessers einen Substanzdefekt, der – v.a. bei Positionierung im Ohrknorpel – zu systemischen körperlichen Beschwerden führen kann.
Im Gegensatz zu Ohrringen können Piercingringe körperliche Beschwerden hervorrufen, die in Zusammenhang mit den gestochenen Punkten stehen. Beispiel: Piercing im Bereich der Antihelix (Repräsentationsareal der Wirbelsäule) kann zu Rückenbeschwerden führen. Piercingringe an anderen Körperteilen können wie Störfelder wirken (wie auch Narben). Insbesondere Nabelringe können das Energiesystem schwächen (analog zur Laparoskopienarbe).“
Aus dem Lehrbuch von Gabriel Stux, Niklas Stiller, Brian Berman, Bruce Pomeranz: „Akupunktur Lehrbuch und Atlas“. Springer-Verlag:
„Das Ohrläppchen lässt sich durch 3 horizontale und 2 vertikale Linien in 9 Areale unterteilen, deren Körperrepräsentanz hier aufgeführt wird: […] – Region 5: Auge – Ohrpunkt 8; diese Region liegt in der Mitte des Ohrläppchens, und ist die Stelle, an der die Ohrringöffnung liegt. Auf Entzündungen oder Reizzustände sollte man an dieser Stelle achten.“
Im Folgenden möchten wir euch die gängigsten Piercings des Ohrs vorstellen und näher erläutern:
Das Antitraguspiercing wird in den kleinen Knorpelknubbel der direkt gegenüber dem Tragus und unmittelbar über dem Ohrläppchen liegt gestochen. Dieses Piercing ist nicht bei jedem möglich und es ist oft eines der schmerzhaftesten Piercings am Ohr.
Das liegt mitunter an dem in diesem Bereich liegenden Muskel (Musculus antitragicus), der ist zwar weitestgehend ohne Funktion, kann aber beim Piercing getroffen werden, was eben schmerzhaft ist. Die Abheilung kann durch das Schlafen auf dem Ohr verzögert werden, da das Piercing gerade bei einer Schwellung weit außen ungeschützt am Ohr liegt.
Das Daith wird in die Knorpelfalte direkt über dem Hörgang gestochen (Crus helicis). Diese Knorpelfalte ist nicht bei jedem Menschen soweit ausgebildet, dass dieses Piercing gestochen werden kann. Die Abheilung ist durch die geschützte Lage meist komplikationslos. Es ist ein für den Piercer anspruchsvolles Piercing und sollte deshalb nur von erfahrenen Piercern gestochen werden. Daher auch der Name: die erste Kundin, die das Piercing vom „Erfnder“ Erik Dakota gestochen bekam, nannte es Daith nach dem hebräischen „Daath“ (Weisheit; Intelligenz). Die Aussprache müsste demnach mit einem geteilten, langen „a“-Laut sein (wie „da-af“) und nicht wie meist ausgesprochen mit einem „ei“-Laut (wie „deif“ – wobei das „f“ ein englisches „th“ ist) – aber das Thema Aussprache von Piercingnamen wird langsam müßig, interessant ist es trotzdem!
Das Helixpiercing wird am äußeren Knorpelrand entlang des Ohres gestochen und kann dort beliebig platziert werden. Als Schmuck kommen sowohl Ringe als auch kurze Barbells mit verschiedenen Aufsätzen in Frage. Das Helix sollte wie alle anderen Knorpelpiercings auf keinen Fall mit der Ohrlochpistole geschossen werden, da gerade an dieser Stelle die Gefahr für Knorpelschäden, die zur Deformation des Ohres und schweren Entzündungen führen können, hoch ist. Das Piercing sollte gestochen oder gepuncht werden! Während des Abheilens sollte man von Belastungen des Ohres absehen (nicht drauf schlafen), das Helix ist eine sehr exponierte Stelle des Ohres.
Wird das Helixpiercing oben an der „Gesichtseite“ des Ohrs gestochen spricht man auch von einem „Inner Helix“, „Forward Helix“ oder „Ear Head Piercing“. Der letztere Begriff stammt vom ersten dokumentierten (bekannten) Piercing an dieser Stelle und wurde von Crystal Cross an Elayne Angels Ohr gestochen. An dieser Stelle des Ohrs befndet sich übrigens auch ein Muskel, der „Musculus helicis major“ – diese Platzie-rung kann also ebenfalls schmerzhafter sein und problematischer in der Abheilung.
Das Helixpiercing ist in vielen Kulturen bekannt und traditionell verwurzelt. Während es oft „nur“ reiner Ohrschmuck ist, hat(te) es zum Beispiel bei den Dayak (alternativ Dajak oder Dyak) eine tiefere Bedeutung.
Die Dayak sind übrigens kein einheitliches Volk, vielmehr ist der Name ein Sammelbegriff für mehrere hundert Volksgruppen und -stämme der Insel Borneo. Trug nun also ein Dayak-Krieger Schmuck aus Bärenzähnen und Glasperlen im oberen Bereich des Ohrs (Helix), so war das ein Zeichen für einen besonders tapferen (erfolgreichen) „Kopfjäger“ (als Kopfjagdbezeichnet man die Tötung eines Menschen um dessen Schädel als Kraft bringende oder magische Siegestrophäe zu erbeuten). Bekannt sind (waren) die Dayak übrigens auch noch für anderen Körperschmuck. So sind bei einigen Volksgruppen spezielle Tätowierungsstile entstanden; bei anderen Dayakstämmen gab es den Brauch, dass Männer einen „Penisstab“, einen so genannten Palang oder Apadravya, trugen und bei den Frauen vieler Dayak Stämme sind weit gedehnte Lobes mit Ear-Weights typisch. Wir werden also sicher noch das eine oder andere mal auf die Dayak zurückkommen!
Das Industrial besteht in der Regel aus zwei Helixpiercings, die durch einen Barbell miteinander verbunden werden. Durch diese Verbindung ist es gerade in den ersten Monaten wesentlich anfälliger für Komplikationen als andere Ohrknorpelpiercings. Es gibt verschiedene Arten und Herangehensweisen das Industrial zu stechen. Die einen schwören darauf erst einzelne Helixe zu stechen, diese abheilen zu lassen und dann erst den Stab durch beide einzusetzen; andere halten das Gegenteil für das Optimum, die Abheilung mit einem langen Stab durch beide Piecings ist zwar langwieriger, dafür ist das Industrial dann in seiner bleibenden Form fertig und muss nicht durch anderen Schmuck ersetzt werden. In jedem Fall sollte es aber von einem erfahrenen Piercer gestochen werden, da die Stichkanäle im exakten Winkel zueinander liegen müssen um unnötigen Druck auf den Ohrknorpel zu verhindern. Auch minimale Abweichungen können auf Dauer Wildfeischwucherungen und Schmerzen verursachen. Für ein „Industrialprojekt“ empfehlt sich auf jeden Fall ein Punch, also das Entfernen von Gewebe. Die Stichkanäle werden dadurch weniger „eng“ und lassen sich unkomplizierter verbinden.
Die Verbindung zweier unterschiedlicher Ohrknorpelpiercings wie z.B. dem Helix und dem Rook, dem Inner oder Outer Conch wird ebenfalls Industrial genannt; ebenso verbundenen Bauchnabelpiercings (Nabelindustrial).
Das Inner Conch wird in der inneren Ohrmuschel gestochen. Es kann dort beliebig platziert werden, man sollte jedoch darauf achten, dass die Kugel von der Rückseite nicht gegen den Schädel drückt. Da das Dehnen der inneren Ohrmuschel extrem unangenehm ist, wird dieses Piercing oft in der gewünschten Größe gestochen bzw. gepuncht. Wenn es entsprechend gestochen wird, ist es nach der Abheilzeit auch möglich einen großen Ring um das Ohr oder als „Orbital“ durch ein anderes Piercing hindurch zu tragen. Durch seine geschützte Lage ist die Abheilung meist unkompliziert, beim Stechen ist es jedoch oft schmerzhaft.
Als Risiko sollte hier auf jeden Fall die mögliche Beeinträchtigung des Hörens genannt werden. Durch den veränderten Schalleinfall durch den getragenen Schmuck kann es zu Veränderungen kommen oder eben zu einer Abdeckung des Gehörgangs.
Die eigentliche Hörfähigkeit wird aber nicht beeinträchtigt. Da es sich um einen Knorpel handelt, können auch hier durch falsches Piercen (Pistole) oder Komplikationen während der Heilung Knorpelschäden und Deformationen auftreten. Darüber hinaus besteht bei einer starken Infektion oder Entzündung dieses Piercings die Gefahr einer Gesichtslähmung; es existiert die Möglichkeit, dass sich eine Infektion über die Lymphen und das Innenohr auf den Gesichtsnerv ausbreitet. Konkrete Fälle sind uns aber nicht bekannt, es gibt lediglich einen Bericht aus den USA in dem die Gefahr aber gebannt wurde nachdem die Frau nach Schmerzen und Taubheitsgefühl im Gesichtsbereich beim Arzt war. Es gilt also wie bei allen Piercings die Pfege ernst zu nehmen und bei Anzeichen von Komplikationen direkt zum Arzt zu gehen!
Eine Nebenwirkung ergibt sich ebenfalls durch den Schmuck, selbst mit Plugs lassen sich oft (wie manchmal auch schon durch ein Traguspiercing) keine Knopfkopfhörer mehr tragen – aber der Klang ist bei großen Kopfhörern eh besser!
Das Inner-Conch-Piercing hat übrigens auch einen anthropologischen Ursprung, die Mangebetu (Naturvolk/Afrika) trugen dieses Piercing genauso wie die Gorak Naths (Sadhu/Indien), woher auch der alternative Name „Sadu-Piercing“ kommt.
In Indien hat das Piercing den Namen „Kanphati“, was gespaltenes Ohr bedeutet („Kan“ = Ohr, „Phat“ = spalten).
Das Lobepiercing ist allgemein als „das Ohrloch“ bekannt. Es ist das mit Abstand häufgste Piercing und auch das einzige, welches bei uns (leider) zu oft schon an kleinen Kindern zu sehen ist.
Die Abheilung ist meist unkompliziert und schnell, da das Ohrläppchen (Lobulus auricularis) aus gut durchblutetem Gewebe besteht und keiner besonderen Körperspannung oder Beanspruchung unterliegt.
Die Platzierung ist meist (klassisch) mittig, wobei auch oft mehrere Lobepiercings nebeneinander getragen werden – alle Piercings des Ohrläppchens bis an den Knorpel des Helixpiercings heran sind Lobepiercings.
Dieses Piercing ist wohl das am meisten gedehnte Piercing. Während die meisten Piercings nur bis zu ca. 10mm gedehnt werden (können), fangen beim Lobe dort erst die „interessanten Größen“ an für die es schönen Naturschmuck (Holz, Glas, Stein, usw.) und Motivplugs gibt.
Nach oben sind kaum Grenzen gesetzt, bei entsprechender Veranlagung und Anatomie sind Größen von weit mehr als 50mm möglich. Ebenfalls je nach Veranlagung und Anatomie muss man allerdings beachten, dass sich selbst beim Dehnen bis 10mm das Loch nicht wieder von alleine schließen muss.
Die Veränderung des Ohrläppchens kann dabei permanent sein und sich nur durch einen chirurgischen Eingriff beheben lassen. Das gleiche gilt für den „Käseschneideeffekt“, der oft durch zu dünnen und zu schweren Schmuck verursacht wird. Möchte man sein Lobe dehnen um z.B. Plugs zu tragen, so besteht auch die Möglichkeit das Ohrloch direkt in einer größeren Größe zu stechen oder mit dem Skalpell entsprechend zu schneiden. Ein Punch kommt dabei eher weniger zum Einsatz, da jedes entnommene Gewebe beim späteren Dehnen fehlt!
Während weiblicher Ohrschmuck „schon immer“ ein Teil unserer Kultur war, wurde der männliche Ohrring wohl erst durch die Jugendkultur der 80er populär, wobei es nie wirklich eine Bedeutung bzw. Rückschluss auf die sexuelle Orientierung gegeben hat, ob ein Mann nun rechts oder links seinen Ohrring trug.
Unter einem Orbital versteht man, ähnlich wie beim Industrial, zwei miteinander verbundene Piercings.
Dabei sind Orbitals statt mit einem Stab mit einem Ring (oder auch D-Ring) verbunden. Beide Piercings sollten vor dem Einsatz des Rings komplett ausgeheilt sein, da eine Heilung mit einem Ring anfälliger ist für Probleme (Hängenbleiben, „mechanische Belastung“, usw.). Je nach Ohrform ist ein Schmuckeinsatz an verschiedenen Stellen und zwischen unterschiedlichen Piercings möglich, z.B. bei Helix, Lobe oder Conch.
Das Outer Conch wird in der äußeren Ohrmuschel gepierct. Es geht zum Rand in das Helixpiercing über, liegt es also am Rand der Ohrmuschel, spricht man von einem Helixpiercing. Wie bei allen Knorpelpiercings empfehlt sich auch hier das Punchen, größere Punches sind im Outer Conch meistens gut möglich.
Analog zum „Sadu-Piercing“ der inneren Ohrmuschel ist ein alternativer Name des Piercings „Upper Sadu“.
Dieses Piercing wird in die obere Knorpelfalten zwischen der inneren und äußeren Ohrmuschel (Crura antihelicis) gestochen und geht nach unten in die Platzierung des Snugpiercings über. Es ist, ähnlich dem Daithpiercing, eines der schmerzhaften Piercings. Dazu kommt eine relativ langsame Abheilung, da es sich auch dort um sehr kompaktes, festes Knorpelgewebe handelt, das sehr exponiert am Ohr liegt. Die Belastung beim Schlafen, Telefonieren oder auch nur durch das „Drankommen“ im Alltag ist nicht zu unterschätzen. Als Schmuck kann nach der Abheilung sowohl ein Stab als auch ein kleiner Ring getragen werden.
Das Snugpiercing wird in der äußeren Knorpelfalte der inneren Ohrmuschel gestochen, dem Antihelix; daher auch der alternative Name unter dem viele dieses Piercing kennen–das Antihelixpiercing.
Auch dieses Piercing ist schmerzhaft und die Abheilung ähnlich dem Daith- und Rookpiercing langwierig.
Für den Ersteinsatz empfehlt sich je nach Anatomie ein gerader oder leicht gebogener Stab. Erst nach vollständiger Abheilung und längerer „Wartezeit“ sollte dann ein Ring eingesetzt werden.
Das Traguspiercing ist neben dem Helixpiercing wohl eines der beliebtesten Ohrknorpelpiercings und wird in den kleinen „Knorpelhügel“ (Lamina tragi) an der Gesichtsseite des Ohrs direkt vor dem Hörgang (Tragus; griechisch „trágos“ = Ziegenbock; „Tragi“ = Haare im äußeren Gehörgang; daher auch unter der Bezeichnung „Ziegenbock“ bekannt) gestochen.
Entgegen den Gerüchten ist es nicht möglich den Gesichtsnerv durch dieses Piercing zu schädigen. Durch die Nähe zu diesem sollten Entzündungen jedoch schnell behandelt werden um Risiken und Komplikationen im Vorfeld auszuschließen.
Ähnlich wie beim Antitraguspiercing an der Gesichtsseite des Ohrs, liegt auch beim Tragus ein Muskel (Musculus tragicus) „im Weg“, das Stechen kann also schmerzhafter sein und die Abheilung verzögert, wenn dieser unglücklich getroffen wird.
Im Traguspiercing können sowohl „Labretstecker“, Barbells als auch Ringe getragen werden. Als Ersteinsatz empfehlt sich allerdings ein Labretstecker oder gerader Barbell mit kleinen Kugeln.
Das Traguspiercing kann auch vertikal gestochen werden, das ist allerdings eine eher seltene Variante des Traguspiercings. Meistens handelt es sich bei derartigen Piercings um das so genannte Sideburnpiercing, also ein Surfacepiercing, das in die Haut vor dem Tragus gestochen wird. Das Vertical-Traguspiercing wurde zuerst von Luis Garcia gestochen bzw. dokumentiert. Zum Einsatz kommt meist ein gebogener Barbell (Banane; Curved Barbell).
Das Transverse-Lobepiercing (auch „Horizontal Lobe“) ist ein horizontales Lobepiercing, welches – anstatt von vorne nach hinten – von rechts nach links durch das Ohrläppchen gestochen wird. Es erfordert Erfahrung beim Stechen und wird meistens Freihand gestochen. Die Platzierung hängt von der Form des Ohrläppchens ab und ist ein wenig variabel.
Der Schmuck sollte der Platzierung angepasst sein, es kann aber sowohl ein gerader, als auch ein gebogener Barbell oder sogar (die Ausnahme) ein großer Ring getragen werden.
Die Abheilzeit ist länger als beim normalen Lobepiercing, da der Stichkanal natürlich erheblich länger ist. Das Transverse Lobe sollte sehr mittig im Ohrläppchen gestochen sein, da es zu tief platziert leicht herauswachsen kann.
Dieses Piercing neigt aufgrund seiner Länge und der Lage des Schmucks zu Komplikationen, besonders an den Enden des Stichkanals, ähnlich einem Surfacepiercing.
Das Vertical Lobe ist eine Kombination aus einem Antitraguspiercing und einem um 90 Grad gedrehten Transverse Lobe. Es wird mit einem langen Barbell senkrecht vom Antitragus zur Unterseite des Ohrläppchens gestochen. Es erfordert ebenfalls beim Stechen einen erfahrenen Piercer, da es genauso wie das Transverse Lobe bei falscher Platzierung herauswächst und es Freihand gestochen werden sollte. Die Abheilung ist in der Regel sehr langwierig, da das Piercing einen sehr langen Stichkanal hat und dazu durch einen Knorpel geht.
Es wird in der Regel ein langer gerader Barbell getragen. Interessante Kombinationen ergeben sich durch die Kombination eines gedehnten Lobepiercings und der Kombination mit einem entsprechend bearbeiteten Tunnel durch den der Stab geführt werden kann. Es gibt auch die Variante, dass aus einem gedehnten Ohrloch nur zu einer Seite ein Transverse-Lobepiercing gestochen wird.
Wobei die Bezeichnung „Transverse“ irreführend ist, aber von einem halben Vertical- oder Horizontal-Lobepiercing will man da wohl auch nicht sprechen. Da diese Art des Piercings einher geht mit speziell angefertigtem oder bearbeitetem Schmuck, sind die auch entsprechend selten!